Die neue Welt | 1
Shownotes
Executive Producerinnen für das Museum Reinhard Ernst Kathrin Grün, Ines Gutierrez
Executive Producer Janis Gebhardt
Producerin Helene Feldmeier
Autoren Kilian Mazurek, Janis Gebhardt
Supervising Sound Designer Sufian Auda, Florian Balmer
Sound Designer Fanny Huder, Carl Hangschlitt
Produktionsassistenz Alexander Hemsen
Mix und Master Fabian Klinke
Grafik Vanessa Neumann
Mitarbeit Philippa Halder
Social Media Redaktion Vanessa Neumann Aksinya Dorn
Sprachregie Friederike Wigger
Mit Reinhard Ernst, Oliver Kornhoff, Lea Schäfer, Mary Gabriel, Katy Hessel, Elizabeth Smith, Lise Motherwell, John Elderfield, Florian Illies, Jason Ysenburg
Es sprachen Ulrike Hübschmann, Timo Weisschnur, Marc Ben Puch, Kristin Suckow, Walburga Raeder, Velia Krause, Olaf Baden, Irina von Drisch, Benjamin Stöwe, Alix Dudel
All paintings shown by Helen Frankenthaler are from the Reinhard Ernst Collection, Wiesbaden: After Hours (1975); For Hiroshige (1981); Lunar Avenue (1975); Pyramid (1988); Sea Level (1976); Second Wind (1974); Spanning (1971); Untitled(1959/60) For all works • Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Cover Artwork Helen Frankenthaler, August 1973. Helen Frankenthaler Foundation Archives, New York. Photograph by Edward Youkilis. Artwork © 2025 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn. Helen Frankenthaler, Sea Level (1976), Sammlung Reinhard Ernst, Wiesbaden © Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Transkript anzeigen
00:00:00: Diese Geschichte beginnt noch vor dem Internet,
00:00:03: vor dem ersten Handy, vor den Beatles und sogar noch vor der Mondlandung.
00:00:08: Diese Geschichte beginnt in New York.
00:00:11: Mai 1950 in New York City.
00:00:18: Come on, man, just drive.
00:00:27: Kolonnen von knallgelben Taxen schlängeln sich durch die Häuserschluchten.
00:00:32: Dampf steigt vom Asphalt auf und zieht über den Gehweg,
00:00:36: auf dem sich die Menschen dringen.
00:00:38: Zwischen den stehenden, hupenden Autos
00:00:44: taucht plötzlich eine große weiße Wand auf.
00:00:47: Es ist eine riesige Leinwand, über anderthalb Meter hoch und zwei Meter lang.
00:00:55: Sie wangt wie von unsichtbaren Händen getragen durch den Verkehr.
00:00:59: Nur wenn man genau hinschaut, erkennt man zwischen Leinwand und Bordstein
00:01:04: zwei Paar Füße.
00:01:06: Sie gehören zu Helen Frankenthaler, einer 22-jährigen Künstlerin
00:01:11: und ihrer Freundin Grace Hartigan, ebenfalls Malerin.
00:01:15: Achtung, einmal Pats machen, bitte.
00:01:18: Wow, die sind slow down.
00:01:22: Oh, die sind slow down.
00:01:24: Auf dem Bürgersteig bleiben die Passanten stehen
00:01:28: und beobachten, was genau diese beiden Frauen dort durch die Gegend manövrieren.
00:01:33: Die New Yorker sind einiges gewohnt, aber so etwas haben sie noch nie gesehen.
00:01:38: Hey, lady, you move in house or make a statement?
00:01:41: Auf der Leinwand sind keine Personen oder schöne Landschaften zu sehen,
00:01:45: sondern wilde, bunte Flächen und Farben in groben dicken Strichen.
00:01:50: What do you got there? A rug?
00:01:52: Ein Kind zeigt mit dem Finger auf die Leinwand und lacht.
00:01:56: Was ist das? Das ist Kunst.
00:01:59: Das sind doch nur Flecken.
00:02:01: So was kann ich auch.
00:02:03: Na, dann bist du eben auch eine Künstlerin.
00:02:06: Der Westen von Lower Manhattan ist bekannt für seine kulturelle Vielfalt.
00:02:15: Die beiden bahnen sich mit dem gigantischen Gemälde weiter einen Weg
00:02:19: durch die Straßen des Village,
00:02:21: bis sie schließlich vor einem großen,
00:02:24: etwas heruntergekommenen Gebäude stehen bleiben.
00:02:27: 9. Straße, so, hier ist es.
00:02:32: Wer ist das?
00:02:37: In dem großen Raum lehnen dutzende Gemälde an den Wänden.
00:02:41: Das ist Clemsgerl.
00:02:43: Die darf auch ausstellen.
00:02:45: Ich hoffe nicht.
00:02:47: Helen richtet sich auf.
00:02:49: Sie will sich von ihren feinseligen Blicken nicht einschüchtern lassen.
00:02:53: Ist Franz da?
00:02:56: Franz!
00:02:58: Ein kleiner Mann, Anfang 40 und mit dünnem Schnurrbad,
00:03:01: kommt auf sie zu.
00:03:03: Helen, was ist das denn?
00:03:06: Wir haben gesagt, jeder ein kleines Bild.
00:03:09: Nennst du das verklein?
00:03:11: Wenn es kleiner wäre, hätte ich ein Taxi nehmen können.
00:03:15: Noch ahnt es niemand.
00:03:17: Aber diese Ausstellung in der 9. Straße wird in die Geschichte eingehen.
00:03:23: Die 9. Street Show ist die erste Ausstellung
00:03:26: der sogenannten New York School
00:03:28: und die Geburt einer völlig revolutionären Kunstrichtung
00:03:32: des abstrakten Expressionismus.
00:03:35: Es ist der Beginn einer neuen Epoche voller wilder Partys.
00:03:39: Eine künstlerischen Explosion, Triumphe und Tragödie.
00:03:44: Eine Zeit zwischen Atombomben und Cool Jazz,
00:03:47: zwischen kalten Krieg und Actionpainting.
00:03:51: Und mittendrin geht eine junge Künstlerin ihren ganz eigenen Weg.
00:03:56: Helen Frankenthaler.
00:03:58: Mein Name ist Zalwa Humsey.
00:04:01: Ich bin Journalistin und Moderatorin.
00:04:04: Ihr hört Frankenthaler.
00:04:07: Das hier ist Folge 1 von 6. Die neue Welt.
00:04:12: Bis heute interessieren sich Menschen für die Kunst einer Frau,
00:04:23: die vor über 75 Jahren damit angefangen hat, abstrakt zu malen.
00:04:27: Und es werden immer mehr.
00:04:29: Aber was ist so einzigartig an Helen Frankenthaler
00:04:33: und ihren Bildern, die nur aus Farbe, Klexen und Flächen bestehen?
00:04:38: It's a good question.
00:04:40: Wie wurde aus ihr die Künstlerin, die heute so bewundert wird?
00:04:44: Helen's past being an artist isn't a traditional one by any means.
00:04:49: Helen Frankenthaler war Pionierin einer revolutionären neuen Kunstszene.
00:04:56: Wirklich wie ein Urknall für die abstrakte Malerei.
00:05:00: They believed fervently in abstraction as a vehicle for communication.
00:05:04: Sie glaubten fest an die Abstraktion als Kommunikationsmittel.
00:05:08: Für große Ideen, für Emotionen und Gefühle.
00:05:13: Was können wir heute noch von dieser Künstlerin
00:05:16: und diesen extrem beeindruckenden Werken lernen?
00:05:19: Das hat ganz viel mit dir zu tun.
00:05:21: Bei der Abstraktenkunft musst du nicht 2 m Katalog gelesen
00:05:25: und 3 Hochstudiestudiengänge gemacht haben,
00:05:28: bis du verstehst, was da zu sehen ist.
00:05:31: Es ist absolut atemberaubend, wenn man entlangschreit.
00:05:35: Und erst mal feststellt, ich brauch meine Zeit,
00:05:38: um diese 5 m allein abzuschreiten.
00:05:41: Ich krieg sogar keinen Saum.
00:05:43: Und warum begeistern uns Frankenthalers Bilder so sehr?
00:05:47: I see Frankenthaler's work as monumental. I really do.
00:05:51: It's like colour, just all you can see is colour.
00:05:54: It just takes over your mind in such an extraordinarily powerful way.
00:05:58: Die größte private Sammlung ihrer Werke
00:06:01: befindet sich überraschenderweise nicht in Amerika,
00:06:04: sondern im hessischen Wiesbaden.
00:06:06: Wir sind derzeit bei ungefähr 960 Werke.
00:06:10: Davon sind 50 Frankenthaler.
00:06:12: Dafür ist einer verantwortlich,
00:06:14: der Unternehmer und Kunstsammler Reinhard Ernst.
00:06:17: Ich hab sie über viele Jahre gesammelt.
00:06:20: Seit 85 hab ich begonnen.
00:06:22: Erst mal nicht um Sammler zu werden,
00:06:24: sondern um meine Wände zu Hause, um meine Wohnung zu schmecken.
00:06:28: Irgendwann stellt man fest, dass man Sammler ist.
00:06:31: Man hat mehr Kunstwerk als Wände zu Hause.
00:06:34: Dann beginnt man zu überlegen, wo häng ich hin?
00:06:37: Deshalb hat er mitten in Wiesbaden
00:06:39: ein Museum mit ausschließlich abstrakter Kunst gebaut.
00:06:43: Heute findet man hier eine der wichtigsten Sammlungen
00:06:46: dieser Art in ganz Europa.
00:06:48: Was Helen Frankenthaler angeht,
00:06:50: ist es sogar die größte Privatsammlung weltweit.
00:06:53: Sie ist heute eine derkünstlerinnen schlechthin.
00:06:56: Die beste Amerikanerin, die je gelebt hat.
00:06:59: Das hängt mit meinem Gefühl zusammen.
00:07:02: Aber ich bin überzeugt davon selbst.
00:07:05: Und die Zeiten zeigen es auch.
00:07:07: Wie hat das alles angefangen?
00:07:09: Das mit dem abstrakten Expressionismus
00:07:11: und natürlich mit Helen Frankenthaler.
00:07:14: Helen.
00:07:22: Helen.
00:07:27: Helen, wir gehen.
00:07:29: 1934.
00:07:34: Ein Samstag-Nachmittag im Central Park.
00:07:38: Helen ist gerade einmal fünf oder sechs Jahre alt.
00:07:41: Wo bleibst du denn?
00:07:43: Wiederwillig dreht sich das kleine Mädchen
00:07:47: vom großen Ententeich weg und folgt dem Rufen der Stimme.
00:07:51: Doch nach ein paar Schritten bleibt Helen noch mal stehen,
00:07:55: und packt ein Stück Kreide aus ihrer Tasche.
00:07:58: Sie bückt sich und beginnt, einen Kreidestrich zu ziehen.
00:08:04: Rückwärtslaufend und zum Boden gekrümmt,
00:08:07: folgt sie ihrem Kindermädchen durch den Park.
00:08:10: Hot dogs!
00:08:16: Oh, what is she doing there?
00:08:18: Watch out!
00:08:24: Vollkommen konzentriert läuft sie vorbei an Straßen im Bissen,
00:08:28: Schuhputzern, Zeitungsständen und Flaneurinnen
00:08:31: und Geschäftsmännern in Anzügen.
00:08:33: Die junge Helen folgt ihrem Kindermädchen aus dem Park
00:08:36: auf die lange Park Avenue
00:08:39: und zieht unermüdlich ihren Strich weiter.
00:08:42: Über gepflasterte Gehwege und asfaltierte Straßen
00:08:46: vorbei an Schlaglöchern und über Bordsteinkanten.
00:08:49: Durch die weitläufige Upper East-Zeit entlang der 5.
00:08:53: Avenue vorbei an den eleganten Apartmentblocks,
00:08:56: exklusiven Geschäften und edlen Restaurants.
00:09:01: Helen ist so vertieft, dass sie weiterläuft,
00:09:04: rückwärts und ohne den Blick zu heben.
00:09:07: Helen!
00:09:12: Sie hält an, wenige Zentimeter vor der Straße.
00:09:16: Noch immer gebückt, die Kreide fest auf dem Boden schaut sie auf.
00:09:21: Helen, mach die Augen auf! Was machst du in Völkwadsch mit der Kreide?
00:09:25: Das ist kein Quatsch.
00:09:27: Was sollen denn die Leute denken?
00:09:30: Alle hier kennen deinen Vater.
00:09:33: New York ist schon in den 30ern und 40ern eine echte Weltstadt.
00:09:43: Und die Upper East-Zeit ist damals wie auch heute
00:09:46: ein Symbol für das Leben der Reichen und Schönen.
00:09:49: Genau dort, an der East-74 Streets-Ecke Park Avenue,
00:09:54: wächst Helen auf.
00:09:56: Gemeinsam mit ihrer Familie, ihrem Vater Elfridt,
00:09:59: ihrer Mutter Martha und ihren zwei älteren Schwestern Marjorie und Gloria.
00:10:04: Die Frankentalers sind angesehen.
00:10:06: Elfridt, der Vater, ist sogar Richter am Supreme Court
00:10:09: und ziemlich einflussreich.
00:10:11: Helen's life was privileged.
00:10:15: On the one hand, she had the support she needed from her family,
00:10:19: she had the self-confidence she needed to grow.
00:10:22: Helens Leben war privilegiert.
00:10:24: Sie hatte Unterstützung von ihrer Familie,
00:10:28: sie hatte das Selbstvertrauen umzuwachsen.
00:10:31: Sie hatte den materiellen Wohlstand, den Komfort,
00:10:34: was ihre Künstlerkolleginnen und Kollegen alles nicht hatten.
00:10:38: Mary Gabriel ist Autorin und Historikerin.
00:10:41: Sie interessiert sich für besondere Frauen der Geschichte
00:10:44: aus allen Epochen.
00:10:46: Von Jenny von Westfalen, der Frau von Karl Marx,
00:10:49: bis hin zur Pop-Ikone Madonna.
00:10:51: Oder eben die New Yorker Künstlerin der 1950er-Jahre.
00:10:56: Meine erste Liebe ist das Schreiben über Kunst
00:11:04: und insbesondere über Künstlerinnen und Künstler.
00:11:07: So viel wird über Kunst aus einer analytischen Sicht geschrieben.
00:11:11: Obwohl eine Künstlerin im Atelier keine Zeit für Theorie hat.
00:11:15: Es geht nur um sie und ihre Farben und ihren Kampf
00:11:18: und ihre Ängste und ihre Freude.
00:11:21: Und es ist ein Drama.
00:11:23: Jedes Gemälde ist eine Minioper.
00:11:26: Kaum vorstellbar, dass es in Helens fast perfekter Kindheit
00:11:30: überhaupt Platz für Drama gibt.
00:11:32: Ihre Eltern sind zwar verschieden,
00:11:34: werden aber auch als Traumpaar beschrieben.
00:11:37: Ihre Mutter Martha liebt Kunst, tanzt gerne,
00:11:41: und ist Teil der New Yorker High Society.
00:11:44: Sie ist eine schöne, charismatische Frau,
00:11:47: groß und mit braun Locken.
00:11:49: Helens Vater Elfried ist ein intellektueller und eher introvertierter Mann
00:11:53: mit einem runden, freundlichen Gesicht und hoher Stirn.
00:11:56: Er zählt zu den angesehensten Juristen der Stadt.
00:11:59: Für Helen sind ihre Eltern echte Stars.
00:12:02: Und einmal im Jahr scheint sogar ganz New York das genauso zu sehen.
00:12:10: Ihre Familie war so gut in der Stadt, die sie gewinnt.
00:12:13: Ihre Familie war in dieser Stadt so angesehen,
00:12:16: dass sie jedes Jahr bei der berühmten Parade
00:12:19: zum St. Patrick's Day in der Lohje des Bürgermeisters saßen.
00:12:23: Und Helens Mutter hatte an diesem Tag Geburtstag.
00:12:26: Deshalb dachten Helen und ihre Schwester,
00:12:29: dass die ganze Parade nur zu Ehren ihrer Mutter sei.
00:12:32: Doch die Frankentalers waren nicht immer Teil der gehobenen Gesellschaft.
00:12:39: Sie waren eine Einwanderer-Familie, die sich hochgearbeitet hat.
00:12:43: Oliver Kornhoff ist der Gründungsdirektor des Museums Reinhard Ernst.
00:12:47: Er hat das Museum also von Anfang an begleitet
00:12:50: und sich natürlich intensiv mit Helen Frankentaler beschäftigt.
00:12:54: Helen Frankentaler ist eine jüdische Familie mit deutschen Wurzeln
00:12:58: aufgewachsen.
00:13:00: Das ist ein schöner Zufall, dass ihre Mutter Martha,
00:13:03: geborene Löwenstein, hier aus Wiesbaden-Igstatt stand.
00:13:07: Sie hat dann aber schon als Kind mit ihren Eltern nach Amerika gekommen.
00:13:11: Und Helens Vater ist bereits in zweiter Generation in den USA.
00:13:15: Er hat sich zu einem der wichtigsten Richter New Yorks hochgearbeitet,
00:13:19: wohl als echter Workaholic,
00:13:22: der aber seine Tochter Helen sehr vergöttert hat.
00:13:25: Elford Frankentaler liebt seine jüngste Tochter.
00:13:28: Er sieht in ihr ein ganz besonderes Kind.
00:13:31: Er steht voll hinter ihr und interessiert sich nicht für die Regeln
00:13:36: der Apaklas.
00:13:38: Während eines großen Dinnerbunketts
00:13:40: kommt die Helen ins Esszimmer gestürmt und verkündet lautstark,
00:13:44: dass sie gerade zum ersten Mal alleine auf dem Klo war.
00:13:47: Ihr Vater fordert daraufhin, alle Gäste auf mit ins Badezimmer zu kommen
00:13:51: und Helens Erfolg gemeinsam zu feiern.
00:13:54: Auch der Kreidestrich, den Helen durch Halbman hätten zieht,
00:13:57: macht deutlich, was sie für ein kreatives und selbstbewusstes,
00:14:01: aber auch manchmal unangepasstes und stures Kind ist.
00:14:04: Es passiert etwas, dass Helen ihr Leben lang beeinflussen wird.
00:14:08: At a very young age, she experienced a trauma
00:14:13: that really helped create the artist Helen Frankentaler.
00:14:17: Als sie sehr jung war, erlebte sie ein traumatisches Erlebnis,
00:14:22: dass sie als Künstlerin Helen Frankentaler geprägt hat.
00:14:25: Ihr Vater starb, als sie elf Jahre alt war.
00:14:30: Es war eine lange Krankheit, die Helen hautnah miterlebte.
00:14:33: Dieser Mann, der so lebendig war, der so wichtig für ihr Leben war,
00:14:37: starb zu Hause vor ihren Augen.
00:14:39: Und sie wusste nicht, wie sie das verkraften sollte.
00:14:42: Helens Vater stirbt 1940 und für sie bricht eine Welt zusammen.
00:14:49: Richtig Raum für den Schock und für ihre Trauer gibt es aber nicht,
00:14:54: denn zur selben Zeit erreicht eine weltweite Katastrophe New York.
00:14:59: Der Zweite Weltkrieg.
00:15:01: Blackouts in New York City, Air Raid Drills.
00:15:04: Es gab Stromausfälle in New York City und Luftalarme.
00:15:08: Es herrschte Krieg.
00:15:10: Und gleichzeitig verlor Helen die Person,
00:15:12: auf die sie sich in ihrem Leben am meisten verlassen hatte.
00:15:16: Ihren Vater.
00:15:18: Die Welt um sie herumbrach zusammen.
00:15:21: Sie hatte eine Phase von mehreren Jahren, die wirklich schwierig war,
00:15:25: und die zu einem Nervenzusammenbruch führte.
00:15:30: Helen leidet unter regelmäßigen und heftigen Migräneattacken.
00:15:34: Sie zieht sich zurück, sie wird ängstlich und steigert sich in die Sorgereien,
00:15:38: dass sie einen Gehirntumor haben könnte.
00:15:41: Das führt dazu, dass sie nicht mehr wirklich in die Schule geht
00:15:45: und auch mehrere Male sitzen bleibt.
00:15:48: Statt dem Unterricht zu folgen,
00:15:50: testet sie nämlich immer wieder die Ränder ihres Sichtfeldes.
00:15:54: Sie ist überzeugt davon, dass sie dort kleine Flecken findet,
00:15:58: bis sie eigentlich gesund ist.
00:16:00: Ihre Mutter Martha ist in der Zeit total überfordert.
00:16:05: Sie steckt selbst noch mitten in der Trauer um ihren Mann.
00:16:08: Dazu kommt natürlich auch noch der Krieg in Europa,
00:16:11: den sie mit großer Sorge verfolgt.
00:16:13: Helen selbst schreibt über diese Zeit.
00:16:17: "Nachdem mein Vater gestorben ist, hatte ich schwere Depressionen.
00:16:21: Ich war in Frag.
00:16:23: Der Krieg hatte gerade angefangen,
00:16:25: und ich saß mit meiner Mutter zwischen Coupons zur Fleischrationierung
00:16:29: und Luftalarm in der Nacht in furchtbarer Einsamkeit,
00:16:33: in furchtbarer Angst.
00:16:35: Und trotzdem habe ich einfach weitergemacht.
00:16:38: Wenn zur Schule gegangen, zu Geburtstagspartys,
00:16:42: habe meine erste Zahnspange bekommen."
00:16:45: Aber niemand schenkt die Überachtung.
00:16:50: Weil man als jüdisch-deutsche Familie damit beschäftigt war,
00:16:53: die Familienmitglieder aus Deutschland herauszuholen.
00:16:56: Und so erschienen die Probleme der kleinen Helen
00:17:00: im Vergleich dazu unbedeutend.
00:17:02: Innerhalb kürzester Zeit entwickelt sich ihr Leben
00:17:05: also von einem behüteten Traum zu einem echten Albtraum.
00:17:09: Irgendwann merkt auch Martha, wie schlecht es ihrer Tochter geht
00:17:13: und entscheidet sich, sie auf eine andere Schule zu schicken.
00:17:16: Das deutlich freierer und progressivere Dalton College.
00:17:20: Rückblickend sagt Helen, dass genau dieser Wechsel
00:17:23: das Leben gerettet hat.
00:17:25: Als der Krieg zu Ende war, erkannte ihre Mutter schließlich,
00:17:36: dass Helen Hilfe brauchte.
00:17:38: Und so wurde sie, wie durch ein Wunder, in eine Schule geschickt,
00:17:42: wo sie den mexikanischen Maler Rufino Tamayo kennenlernte.
00:17:46: Es war eine Privatschule voller schnöseliger kleiner Kinder.
00:17:50: Aber er sah in Helen den kleinen Setzling sozusagen,
00:17:54: die kleine Künstlerin in der Entwicklung.
00:17:57: Und ich glaube, wenn man versteht, welchen Schmerz sie in ihrer Kindheit erlebte,
00:18:01: den Verlust und die Verwirrung,
00:18:04: dann ist es einfacher zu verstehen, woher ihre Gemälde kommen.
00:18:08: Oliver Kornhoff, Direktor vom Museum Reinhard Ernst.
00:18:13: Rufino Tamayo war ein wichtiger Lehrer der jungen Helen Frankenzale.
00:18:19: Er war mexikanischer Maler mit indigenen Wurzeln,
00:18:22: große Wandgemälde mit mexikanischen Motiven und leuchtender Farben.
00:18:26: Das waren seine Mitte.
00:18:28: Tamayo war bis zu 1953 in den USA aktiv
00:18:33: und unter anderem als Lehrer an der sehr progressiven Dolton School,
00:18:37: woher die 15-jährige Helen Frankenzale unterrichtete.
00:18:42: Er hatte Hellens Talent erkannt
00:18:45: und er die technischen Grundlagen des Mahns beigebracht.
00:18:49: Wie man Farbe anmischt, wie man fundiert,
00:18:52: wie man eine Leinwand aufspannt.
00:18:55: Und ich denke, man kann schon sagen,
00:18:58: für Helen Frankenzale war ein Schulunterricht die Rettung.
00:19:02: Hier erlebte sie Stabilität, hier erfuß die künstlerische Förderung.
00:19:06: Beides brauchte sie in dieser Zeit
00:19:08: und beides hat sie letztendlich motiviert, Künstlerin zu werden.
00:19:13: Helen findet in der Kunst ein Weg mit ihrer Trauer umzugehen.
00:19:17: Die Erfahrung entfacht in ihr, ein Wunsch mehr zu lernen.
00:19:21: Über die Kunst, über die Künstlerinnen und Künstler.
00:19:25: Rufin Utamayo war ein Meister der Wandmalerei.
00:19:28: Seine flächigen Darstellungen,
00:19:30: seine riesigen Formate waren sicher prägend für Helen.
00:19:33: Durch ihn lernte sie zu dem moderne Kunst kennen.
00:19:36: Obismus, Surrealismus und Expressionismus.
00:19:40: Das war auch dringend nötig.
00:19:42: In New York wurde damals so gut wie keine moderne Kunst geschaffen.
00:19:47: Während Helen eine Schule gefunden hat,
00:19:50: in der sie ihre Liebe zur Kunst ausleben kann,
00:19:53: muss eine andere Frau alles stehen und liegen lassen
00:19:56: und aus Europa fliehen.
00:19:58: 14. Juni 1940 in Paris.
00:20:13: Die prächtige Kunstmetropole ist kaum wiederzuerkennen.
00:20:17: Hitlers Armee nähert sich unauffaltsam der Stadt.
00:20:21: Niemand weiß, wann genau die Deutschen angreifen werden.
00:20:25: Peggy Guggenheim und ihr Lebensgefährte Max Ernst
00:20:35: haben in den letzten Tagen unzählige Kunstwerke
00:20:38: von befreundeten Künstlern gekauft.
00:20:41: Vielen konnten sie dadurch und mit ihrem guten Netzwerk
00:20:45: zu einer Flucht vor den Nationalsozialisten verhelfen.
00:20:49: Jetzt legt das Paar alles daran,
00:20:52: erst die gesammelten Kunstwerke und dann sich selbst in Sicherheit zu bringen.
00:20:57: Max, das war aber jetzt die letzte Kiste.
00:21:01: Der Fahrer muss los, beall dich.
00:21:03: Der Fahrer des Wagens ist sichtlich in Eile.
00:21:09: Auf den sperrigen Kisten steht Geschirr, Töpfe oder Besteck.
00:21:13: Er weiß nicht, was er da wirklich zum Hafen bringt.
00:21:16: Eine aus heutiger Sicht unbezahlbare Kunstsammlung.
00:21:20: Hoffentlich sehen wir diese Bilder irgendwann wieder.
00:21:27: Max, wir müssen hier so schnell wie möglich weg.
00:21:34: Das Paar schaut dem wegrasenden Transporter hinterher.
00:21:38: Er verlässt sie keine Sekunde zu früh.
00:21:41: Nur zwei Tage später fallen die Truppen in Paris ein.
00:21:47: Doch da sind die kostbaren Gemälde schon längst auf hoher See
00:21:51: und ihre Besitzer auf dem Weg nach Lisbon.
00:21:54: Michael, häng dich nicht so über den Steg.
00:22:03: Komm jetzt her, wir müssen einsteigen.
00:22:06: Portugal ist das einzige Land,
00:22:08: von dem aus man jetzt noch per Linienflug nach Amerika kommen kann.
00:22:12: Eine Gruppe von sieben Menschen steht auf einem Steg
00:22:16: und blickt auf den Atlantik.
00:22:18: Es sind Peggy Guggenheim, ihr Freund Max Ernst,
00:22:22: ihr Ex-Mann, dessen neue Frau und zwei Kinder aus erster Ehe.
00:22:26: Vor ihnen schwimmt ein riesiges Wasserflugzeug.
00:22:30: Wow, damit fliegen wir, Mama.
00:22:33: Im Hafen von Estoril liegt ein silberner Stahlvogel.
00:22:37: Die Boeing 314 Clipper ist eines der größten Flugzeuge seiner Zeit.
00:22:42: Mit vier Gründen ist es ein sehr starkes Flugzeug.
00:22:47: großen Propellern an den Tragflächen und einem dicken schwimmenden Bauch.
00:22:50: Das Flugboot bietet Platz für 74 Menschen.
00:22:54: 74 reiche Menschen.
00:22:57: Ein Flug nach New York kostet etwa 600 Dollar.
00:23:01: Umgerechnet wären das heute über 12.000 Euro.
00:23:06: * Motorrattern *
00:23:08: Gemeinsam lassen sie den zerstörten europäischen Kontinent hinter sich
00:23:25: und fliegen in die neue Welt.
00:23:32: Irgendwo unter ihnen treibt das, was sie aus Europa retten konnten.
00:23:36: Die Bilder.
00:23:39: Fast zwei Tage werden Peggy und ihre erweiterte Familie
00:23:44: in dem Flugzeug unterwegs sein, bis sie schließlich auf dem Hudson River landen.
00:23:49: Peggy Guggenheim wächst auch in New York auf.
00:23:58: Sie hat zu ihrem 21. Geburtstag erbt sie 450.000 Dollar.
00:24:02: Das entspricht heute mehr als 7 Millionen Euro.
00:24:06: Sie zieht nach Paris, hängt mit intellektuellen und künstler*innen ab.
00:24:11: Sie wird so etwas wie ein It Girl der Pariser Kunstszene
00:24:15: und fängt auch an, selbst Kunst zu sammeln.
00:24:18: Als der Zweite Weltkrieg beginnt,
00:24:22: schafft sie es ihre inzwischen weltberühmte Sammlung moderner Kunst
00:24:27: und die Sicherheit, und von Paris zurück nach New York zu bringen.
00:24:30: Darunter Werke von europäischen Größen wie Pablo Picasso,
00:24:34: Joan Miro, Georges Bragg, Vasili Kandinsky, Alberto Giacometti,
00:24:40: Paul Klee und natürlich von ihrem Ehemann Max Ernst.
00:24:44: Diese Sammlung wird die amerikanische Kunstszene nachhaltig verändern.
00:24:50: * Musik *
00:24:53: Oktober 1942.
00:25:00: 30 West 57th Street Manhattan, New York.
00:25:04: Die New Yorker High Society hat sich für ein besonderes Event versammelt.
00:25:10: Ihnen wurde etwas völlig neues, atemberaubendes versprochen.
00:25:15: Eine Ausstellung mit nur zwei Räumen, die jedoch unterschiedlicher nicht sein können.
00:25:19: Der erste Raum wird von schmalen Metallstangen durchzogen,
00:25:23: an denen Gemälde mit geometrischen Formen mitten im Raum hängen.
00:25:28: Auf umgeworfenen Sessel stehen verformte Skulpturen,
00:25:32: eine cubistische Galerie mit Werken von Bragg bis Kandinsky.
00:25:41: Der andere Raum ist ein völlig schwarzer, nahezu leerer Tunnel.
00:25:45: Aus den Wänden schießen links und rechts Stäbe,
00:25:49: an denen seltsame Gemälde mit verzerrten Körpern
00:25:52: und zerfließenden Landschaften befestigt sind.
00:25:55: Eine surrealistische Galerie mit Werken von Max Ernst bis René Magritte.
00:26:00: Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht eine Frau mit dunklen Augen
00:26:10: und blutrotem Lippenstift.
00:26:12: Sie trägt ein weißes Kleid und wenn man genau hinschaut,
00:26:16: zwei unterschiedliche Ohrringe.
00:26:19: Der linke ist cubistisch, der rechte surrealistisch.
00:26:23: Es ist Peggy Guggenheim, inmitten ihrer Sammlung aus der Kunst,
00:26:27: mit der sie so spektakulär und überstürzt aus Europa geflohen ist.
00:26:31: Jetzt wird sie umringt von Menschen in schicker Abendgadrobe.
00:26:36: * Musik *
00:26:38: Der Blick der Gastgeberin schweift ab.
00:26:45: Unzählige Male erzählt man sich an diesem Abend ihre Geschichte.
00:26:50: Doch dann fallen ihr drei Männer auf.
00:26:54: Sie sind Mitte 30, tragen abgewetzte Anzüge.
00:26:58: Sie sind offensichtlich nicht Teil der New Yorker High Society.
00:27:03: Angeregt diskutieren sie und fuchteln wild mit ihren Zigaretten
00:27:07: vor einem Picasso herum.
00:27:10: Jackson, guckt dir diese Technik an.
00:27:13: Faszinieren wir die Perspektive komplett dekonstruiert?
00:27:17: Picasso ist wirklich ein Genie.
00:27:20: Wir müssen auch so etwas Revolutionieres schaffen.
00:27:24: Aber hier in New York.
00:27:27: Peggy schmunzelt, sie kennt die Gruppe.
00:27:31: Sie ist die Gruppe von Albert Motherwell.
00:27:33: Alles am ziemlich unbekannte Male.
00:27:36: Gentlemen, wenn Sie es wirklich schaffen, etwas Bahnbrechen, das zu malen,
00:27:41: dann stelle ich Ihre Bilder ebenso aus.
00:27:44: Hier direkt neben den europäischen Meistern versprochen.
00:27:48: * Musik *
00:27:59: Die USA ist Peggy Guggenheims Eröffnungsausstellung die erste Begegnung
00:28:03: mit radikal neuer Kunst aus Europa.
00:28:06: Die Leute sind schockiert und gleichzeitig aber auch total begeistert.
00:28:11: At that time Picasso unbelievably,
00:28:15: because we were talking about the late 40s,
00:28:18: was still radically avant-garde.
00:28:20: Zu dieser Zeit war Picasso, und das ist unglaublich,
00:28:23: wir sprechen hier über die späten 40er Jahre,
00:28:27: die sind so avant-gardistisch für die Kunstwelt in den Vereinigten Staaten.
00:28:30: Was abstrakte Maler angeht, die gab es in den USA einfach nicht.
00:28:34: Das war ein europäischer Import. Niemand hat das gemacht.
00:28:38: Die US-amerikanische Kunst ist zu der Zeit sehr konservativ.
00:28:43: Es dominieren zwei große Richtungen.
00:28:46: Beim sogenannten Regionalismus geht es um die Darstellungen vom Leben
00:28:50: auf dem amerikanischen Land.
00:28:52: Das sind meistens traditionelle Bilder von zufriedenen Bauern
00:28:56: in den künstleren Westen.
00:28:57: Der amerikanische Realismus zeigt wiederum die Schattenseiten
00:29:01: vom American Way of Life.
00:29:03: Hier sind auch oft Bauern zu sehen,
00:29:06: aber die sind auf diesen Bildern richtig hart am Schuften.
00:29:09: In Europa ist die moderne Kunst ganz anders.
00:29:12: Picasso, Kandinsky, Bragg oder Ernst,
00:29:15: die verzerrte Körper, surreale Träume, kantige Formen und wilde Linien malen.
00:29:23: Am Ende des 19. Jahrhunderts haben in Europa viele Künstlerinnen und Künstler
00:29:26: die Ordnung der Malerei in Frage gestellt.
00:29:28: Sie haben angefangen, die traditionsreichen Regeln,
00:29:31: der Komposition, der Farbgebung und der Motivauswahl zu brechen.
00:29:35: Sie wollten nicht länger ihre Umgebung naturgetreu wiedergeben,
00:29:38: sondern haben ihre eigenen Emotionen mit eingebracht.
00:29:41: Und aus dieser Subjektivität sind dann Impressionismus,
00:29:45: Expressionismus, Kubismus und vor allem Syriallismus und Dadaismus entstanden.
00:29:51: Das ist das, was wir heute als moderne Kunst bezeichnen.
00:29:53: Peggy Guggenheim bringt die moderne europäische Kunst
00:29:57: in die selbsternannte "Neue Welt".
00:30:00: Ihre Galerie wird zu einem Treffpunkt für Künstlerinnen und Künstler,
00:30:04: die im Exil leben, aber eben auch für New Yorker,
00:30:07: die auf der Suche nach einem neuen Kunstgeist sind.
00:30:10: Ab 1943 gibt Peggy Guggenheim auch total unbekannten Malern eine Bühne.
00:30:16: Mark Rothko, Jackson Pollock und Robert Motherwell.
00:30:20: Helen ist mittlerweile 16 und steht kurz davor, die High School zu beenden.
00:30:27: Für sie steht fest, dass sie in einem kreativen Beruf arbeiten möchte,
00:30:31: entweder als Malerin oder als Schriftstellerin.
00:30:34: Und sie weiß auch schon ganz genau, wo sie studieren will, am Bennington College.
00:30:39: Das ist damals das progressivste, liberalste und natürlich teuerste Mädchencollege der USA.
00:30:47: Ihre Mutter hält von diesem Plänen aber so gut wie gar nichts.
00:30:50: Mary Gabriel.
00:30:52: Für eine junge Frau von Helen, die zur Schule gehen sollte,
00:30:55: waren sie ein sehr offenes Ort, in dem sie in eine jungen Frau aus Helen zur Schule gehen sollten.
00:30:57: Für eine junge Frau von Helen sozialer Herkunft gab es offensichtliche Orte,
00:31:02: an denen sie hätte zur Schule gehen sollen.
00:31:05: Orte, die sozusagen brillante junge Frauen hervorbrachten,
00:31:09: die aber auch eine Art "Finish-Schools" waren.
00:31:14: Um die Frau von jemandem zu werden.
00:31:17: Die Frau eines Innators, die Frau eines Richters, die Frau eines berühmten Chirurgen.
00:31:21: Helen wollte auf eine Schule gehen, wo sie die Person werden konnte, die sie werden wollte.
00:31:27: Und deswegen wollte sie auf das Bennington College in Vermont,
00:31:30: ein Ort, der unerhört radikal war für eine junge Frau ihrer sozialen Stellung.
00:31:35: Allein den Gedanken an so ein College, auf das auch ihre beiden Schwestern gehen,
00:31:40: findet Helen schon schrecklich.
00:31:43: Helen hat sich lustig über die Regeln der High Society aus der Upper East-Zeit
00:31:46: und bezeichnet sie spätisch als Country Club.
00:31:49: Helen bearbeitet ihre Mutter so lange, bis sie nachgibt.
00:31:53: So, she went to Bennington, she became involved with writing,
00:31:58: she became a mini journalist writing for the newspaper.
00:32:02: Und so ging sie nach Bennington und fing an zu schreiben.
00:32:05: Sie wurde eine Mini-Journalistin, sie belegte Kunstkurse,
00:32:09: sie kehlnerte an der Fakultät.
00:32:12: Sie traf Dichter und Philosophen und Leute, von denen sie lernen konnte.
00:32:17: Und das alles saugte sie auf.
00:32:19: Drei Jahre studiert Helen im Bennington.
00:32:22: Sie entwickelt sich zu einer charismatischen, jungen Frau.
00:32:25: Sie hat eine extrovertierte, laute, mutige Seite,
00:32:29: versteckt aber auch eine introvertierte melancholische.
00:32:33: Dieser Zwiespalt wird sie noch ihr ganzes Leben begleiten.
00:32:37: Helen brennt für Kunst, Literatur und Musik.
00:32:41: Oliver Kornhoff, der Direktor des Museums, rein hat Ernst.
00:32:44: Helen Frankathala hat sich während ihrer Zeit am Bennington College
00:32:48: sehr intensiv mit dem Kubismus auseinandergesetzt.
00:32:51: Herlera Paul Fili ermuntert sie, speziell Pablo Picasso zu studieren
00:32:55: und zu kopieren.
00:32:57: Ich glaube, besonders dabei hat sie gelernt, die Dinge nicht plastisch darzustellen,
00:33:01: sondern die Welt in geometrischen Formen aufzulösen.
00:33:04: Und so aus etwas dreidimensionalem, etwas zweidimensionales zu machen.
00:33:09: Eine ganz wichtige Erkenntnis, die später in ihrem Werk
00:33:12: dauerhaft eine zentrale Rolle spielt.
00:33:15: Mary Gabriel.
00:33:18: Ich glaube, das ist etwas, was wirklich wichtig ist,
00:33:21: dass, wenn sie in der Schule war,
00:33:23: die Amerikaner, so-called, Avon Garde.
00:33:26: Es ist wirklich wichtig zu betonen,
00:33:28: dass es in ihrer Schulzeit die sogenannte amerikanische Avangarde,
00:33:31: zu der sie bald gehören würde, noch gar nicht gab.
00:33:34: Ich meine, niemand wusste von ihnen.
00:33:38: Sie waren in New York so weit im Untergrund,
00:33:40: dass sie irrelevant waren.
00:33:42: Zeitgenössische Kunst bedeutete europäische Kunst,
00:33:46: Matisse, Picasso, die Surrealisten und das studierte Helen.
00:33:51: Sie ist davon überzeugt, dass echte Inspirationen
00:33:54: nur aus Europa kommen kann.
00:33:56: Bis sie eines Tages kurz vor ihrem Abschluss
00:33:59: auf dem weitläufigen Campus spazieren geht.
00:34:01: Sie hält die August-Ausgabe 1949 des Alive-Magazins
00:34:07: in ihren Händen, der damals wichtigsten Lifestyle-Zeitschrift
00:34:10: der USA mit einer Auflage von über 5 Millionen Kopien.
00:34:13: Darin entdeckt sie ein Artikel über einen Künstler,
00:34:17: der mit Jeans, Hacker und Zigarette superlässig vor wild
00:34:20: bemaltem Leinwänden lehnt.
00:34:22: Die Überschrift überrascht sie.
00:34:24: Jackson Pollock.
00:34:26: Ist er der beste lebende Maler in den Vereinigten Staaten?
00:34:29: Das ist kein Europäer.
00:34:31: Ein US-Amerikaner soll so etwas gemacht haben.
00:34:35: Es war ein fantastischer Artikel.
00:34:37: Es war eine Einführung in seiner Arbeit auf dramatische Weise.
00:34:41: Er sah aus wie Marlon Brando in Jeans, bedeckt mit Farbe,
00:34:45: angelehnt an ein Bild.
00:34:47: Es war fantastisch.
00:34:49: Kein Künstler in Amerika war jemals so gezeigt worden
00:34:52: als Individuen, als harter Kerl.
00:34:54: Künstler galten zu dieser Zeit als "ilitäre Europäer".
00:34:57: Irgendwie schlug sie sich nicht.
00:34:59: Es war ein Künstler, der sich die Zeit hatte,
00:35:03: aber irgendwie schnöselig.
00:35:04: Er zeigte sich als Arbeiter.
00:35:06: Und das war eine Offenbarung.
00:35:08: So Helen, young Helen,
00:35:14: who was trying to master what Picasso had done.
00:35:17: Und die junge Helen, die versuchte zu malen,
00:35:20: was Picasso vor 30 Jahren gemalt hatte,
00:35:22: schlug plötzlich diese Zeitschrift auf und erkannte,
00:35:25: dass eine Revolution der Kunst im Gange war, von der sie nichts wusste.
00:35:30: Das gab ihr den Anstoß für die nächste Phase ihrer Karriere.
00:35:33: Die mittlerweile 20-jährige Helen merkt,
00:35:36: dass mitten in ihrer Heimatstadt etwas in Bewegung ist,
00:35:40: von dem sie teil sein möchte.
00:35:42: Sie schließt ihr Studium ab und zieht wieder zurück nach Manhattan.
00:35:46: Sie reißt erst mal wieder zurück zu ihrer Mutter,
00:35:49: an die Upper East-Zeit,
00:35:51: die sich immer noch wünschen würde,
00:35:53: dass ihre Tochter endlich ein konservatives Leben einschlägt.
00:35:58: Aber Helen bleibt stur und lässt sich von ihr nicht beeinflussen.
00:36:01: Sie weiß, was sie will.
00:36:03: Als sie mit 21 schließlich das Erbe ihres Vaters ausgezahlt bekommt,
00:36:07: nutzte ihre finanzielle Unabhängigkeit,
00:36:10: um eine eigene Wohnung und ein kleines Atelier zu mieten.
00:36:13: Nicht in "Abtown", sondern in "Downtown", im Süden von Manhattan.
00:36:18: Das East Village, was heute ein hübsches Szeneviertel ist,
00:36:22: ist damals noch ein ziemlich runtergerocktes Einwandererviertel.
00:36:26: Genau da will Helen hin.
00:36:28: Mary Gabriel.
00:36:30: Die meisten der Künstler, von denen Helen beeinflusst wurde,
00:36:34: waren Einwanderer in die Vereinigten Staaten.
00:36:37: Arm, schmuddelig.
00:36:39: Sie wissen schon, das typische Bild eines Künstlers
00:36:42: lebt in einem Loft, schnaut sich durch,
00:36:45: kratzt die letzten Essensresten zusammen.
00:36:48: Jackson Pollock und Lee Cressna, Willem und Elaine de Cunning.
00:36:53: Arshil Gorki oder Robert Motherwell arbeiten schon länger
00:36:57: an einer neuen Art zu malen.
00:36:59: Die Szene ist klein und unbekannt.
00:37:02: Später wird man sie aber als die erste Generation
00:37:05: der New York School bezeichnen.
00:37:07: Sie sind die Vorreiterin des abstrakten Expressionismus.
00:37:11: Diese Künstler*innen haben das Grauen des Zweiten Weltkriegs
00:37:15: noch ganz klar vor Augen.
00:37:17: Den Holocaust, die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki.
00:37:22: Wie viele andere in dieser Zeit
00:37:24: verlieren sie einen stückweiten Glauben an die Menschheit.
00:37:27: Das führt dazu, dass sie keine Lust mehr auf politische Statements,
00:37:31: Messages und politische Kunst generell haben.
00:37:34: Sie wollen sich künstlerisch lieber auf das konzentrieren,
00:37:37: was ihnen bleibt.
00:37:39: Das Vertrauen in sich selbst.
00:37:41: Alles, was zählt, ist das, was sie wahrnehmen und fühlen.
00:37:45: Sie experimentieren mit der Abstraktion als Kommunikationsmittel
00:37:50: für die ganz großen Themen, für grundlegende Emotionen.
00:37:53: Sie sehen ihre Werke als Kommentar zur Situation der gesamten Menschheit.
00:37:58: Dabei waren sie zwar von den europäischen Meistern beeinflusst,
00:38:02: haben aber schon versucht, was eigenes Neues zu entwickeln.
00:38:06: Sie haben absolut abstrakt gemalt, abstrakter als die Europäer.
00:38:10: Sie haben oft gestischer, also mit dem ganzen Körper gemalt.
00:38:14: Pollock mit seinen Drip-Paintings,
00:38:19: mit dynamischen, dicken Pinselheben.
00:38:21: Sie haben damit eine neue, eine amerikanisierte abstrakte Kunst geboren.
00:38:26: Helen hat von diesen Künstlerinnen und Künstlern bisher nur gelesen,
00:38:32: aber sie will ihre Vorbilder endlich persönlich treffen.
00:38:35: Und von ihrem ehemaligen Lehrer bekommt sie genau diese Chance.
00:38:39: Er beauftragt sie damit,
00:38:41: eine Ausstellung der Bennington-Absolventinnen zu organisieren.
00:38:44: Das lässt sie sich nicht zweimal sagen und macht sich an die Arbeit.
00:38:48: Sie hat aber auch mit ihrer gewohnten Mischung aus Dickhöpfigkeit,
00:38:50: Selbstvertrauen und Charisma.
00:38:52: Das ist ein primarer Beispiel, wie Helen alles macht.
00:38:56: Sie hat nicht nur andere Studenten,
00:38:59: oder Fakultieren oder Leute aus anderen Schulen in New York eingeladen.
00:39:02: Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie Helen etwas tut.
00:39:05: Sie hat nicht einfach andere Studenten eingeladen.
00:39:08: Stattdessen lädt sie die wichtigsten Kritiker der Stadt zu einer College-Show ein.
00:39:13: Es war absurd.
00:39:15: Das war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:17: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:20: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:23: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:26: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:29: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:32: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:35: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:38: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:41: Es war ein sehr unheimliches Gefühl.
00:39:44: Diese Kunstkritiker sind nur echt schwer zu erreichen.
00:39:47: Helen hat im Apartment ihrer Mutter eine Art Kommandozentrale eingerichtet.
00:39:51: Sie kennt so gut wie niemanden in der New Yorker Kunstwelt.
00:39:55: Doch um möglichst viele wichtige Persönlichkeiten auf eine Ausstellungseröffnung zu locken,
00:40:00: telefoniert sie hartnäckig alle Namen ab, die sie jemals irgendwo gelesen hat.
00:40:05: Und die nächste Nummer ist die wichtigste.
00:40:08: Greenberg ist der wichtigste Kunstkritiker der New Yorker Kunstszene.
00:40:11: Greenberg ist bekannt für sein gutes Auge und seine harten, aber brillanten Kritiken.
00:40:15: Er hat Jackson Pollock entdeckt und genießt seitdem Leben.
00:40:19: Er hat Jackson Pollock entdeckt und genießt seitdem Leben.
00:40:23: Er hat Jackson Pollock entdeckt und genießt seitdem Leben.
00:40:27: Er hat Jackson Pollock entdeckt und genießt seitdem Leben.
00:40:31: Er hat Jackson Pollock entdeckt und genießt seitdem Leben.
00:40:36: Er hat Jackson Pollock entdeckt und genießt seitdem Leben.
00:40:39: Sein Spitzname? Papst Clem.
00:40:42: Herr Greenberg, mein Name ist Helen Frankenthaler.
00:40:46: Ich organisiere in Absprache mit Mrs. Carrier eine Kunstausstellung in der Seligman Gallery.
00:40:51: Vielleicht kennen Sie sie in der 57. Straße?
00:40:55: Aha.
00:40:57: Nun, es ist eine Ausstellung von ehemaligen Bennington-Absolventinnen und...
00:41:02: Oh, Bennington. Ich liebe Bennington.
00:41:05: Besonders natürlich die talentierten Absolventinnen von dort.
00:41:08: Aber ich komme nur, wenn es Drinks gibt.
00:41:11: Drinks? Oh, wir haben einen eigenen Barkeeper.
00:41:15: Bitte schön. Ein Manhattan.
00:41:22: Ah, danke.
00:41:24: Wenige Tage später.
00:41:27: Die Kunst- und Literatur Szene der New Yorker Avant-Garde ist zur Bennington-Show erschienen.
00:41:34: Helen trägt ein schickes Kleid und steht etwas abseits der Bilder am Dresen.
00:41:39: Die Bilder hängen bereits, aber Helen hat nur die Tür im Blick.
00:41:44: Helen, da ist er.
00:41:49: Ich habe ihn mir größer vorgestellt.
00:41:53: Clem Greenberg, ein untersetzter glatzköpfiger Mann Mitte 40.
00:41:58: Aber mit der Aura eines brillanten Intellektuellen.
00:42:03: Alle Studentinnen erkennen ihn sofort, doch niemand traut sich, ihn anzusprechen.
00:42:08: Hi, ich bin Helen, Helen Frankenthaler.
00:42:17: Clem Greenberg. Sie haben mich also eingeladen.
00:42:21: Genau. Darf ich Sie herumführen?
00:42:24: Leichtfüßig leitet Helen den berühmten Kritiker durch die Ausstellung.
00:42:32: Durch Helen's hohe Schuhe sind die beiden gleich groß,
00:42:35: doch sie könnten unterschiedlicher nicht sein.
00:42:38: Er Mitte 40.
00:42:40: Sie Anfang 20 mit dicken braunen Locken und charismatischer Ausstrahlung.
00:42:45: Dann treten sie vor das letzte Kunstwerk.
00:42:49: Ein von Picasso inspiriertes Bild namens "Woman on a horse".
00:42:54: Helen knetet angespannt ihre Fäuste,
00:42:57: während Greenberg das Gemälde konzentriert mustert.
00:43:02: Um sich besser zu konzentrieren,
00:43:04: legt er seinen Zeigefinger auf den Punkt zwischen seinen Augen.
00:43:08: Doch dann formen sich seine dicken Augenbraun zu einer Welle.
00:43:12: Das hier mag ich überhaupt nicht.
00:43:16: Helen hält den Atem an.
00:43:18: Greenbergs Blick verdüstert sich.
00:43:21: Das ist das schlechteste Bild der ganzen Ausstellung.
00:43:25: Oh, das ist meins.
00:43:28: Das war Folge 1 von Frankenthaler.
00:43:31: Die neue Welt.
00:43:34: Mein Name ist Tsaiwa Humsi.
00:43:37: Wenn euch der Podcast gefällt,
00:43:40: dann empfiehlt ihn gerne weiter und gebt uns fünf Sterne.
00:43:44: Frankenthaler ist eine Produktion von Studio J
00:43:47: und dem Museum Reinhard Ernst 2025.
00:43:50: Executive Producerin für das Museum Reinhard Ernst
00:43:53: und der Museum Reinhard Ernst.
00:43:57: Katrin Grün, Ines Gutieres.
00:43:59: Für Studio J, Executive Producer Janis Gebhardt.
00:44:03: Producerin Helene Feldmayer.
00:44:06: Autoren Kilian Matsurek Janis Gebhardt.
00:44:09: Sprachregie Friederike Wigger.
00:44:12: Superweisen Sound Designer Sufián Auda.
00:44:15: Florian Balma.
00:44:17: Sound Designer Fanny Huda.
00:44:20: Karl Hangschlitt.
00:44:22: Produktionsassistentin
00:44:26: Alexander Hemsen.
00:44:28: Mixo Master Fabian Klinke.
00:44:31: Mitarbeiter Philippa Halder.
00:44:34: Social Media Redaktion Vanessa Neumann,
00:44:37: Axinia Dorn.
00:44:39: Have a Break, Have some Art.
00:44:54: Die Kunstpause ist der Podcast der Freunde der Nationalgalerie in Berlin.
00:44:57: Charlotte Paulus und Felix von Böhm begrüßen jeden Monat spannende Gäste aus Kunst und Kultur
00:45:03: und sprechen mit ihnen über ihren Werdegang, ihren persönlichen Bezug zur Kunst
00:45:07: und über jeweils ein Kunstwerk aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie.
00:45:12: Etwa mit Bestsellerautor Florian Illes über Kaspar David Friedrich,
00:45:17: mit Marion Ackermann, Präsidentin der Stiftung preußischer Kulturbesitz
00:45:22: über Emeka Obo
00:45:24: oder mit Kritikerin Isabel Grau über Eduard Manet.
00:45:27: Reinhören lohnt sich.
00:45:29: Die Kunstpause gibt es überall, wo es Podcasts gibt.
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