Durchbruch | 3
Shownotes
An einem Oktobertag 1952 erschafft Helen Frankenthaler mit Mountains and Sea ihr erstes großes Meisterwerk – und erfindet dabei unbeabsichtigt die radikale „Soak-and-Stain“-Technik. Helen Frankenthaler wagt einen radikalen Schritt und entdeckt dabei einen ganz neuen Zugang zur Malerei. Doch ihr Durchbruch bringt nicht nur Bewunderung, sondern auch Zweifel, Missverständnisse und tiefe Verunsicherung. Zwischen öffentlicher Kritik, privaten Verlusten und einem Beziehungskonflikt muss Helen lernen, was es heißt, wirklich für die eigene Kunst einzustehen. Eine Episode über das Wagnis, neue Wege zu gehen – und den Mut, sich selbst treu zu bleiben.
Executive Producerinnen für das Museum Reinhard Ernst Kathrin Grün, Ines Gutierrez
Executive Producer Janis Gebhardt
Producerin Helene Feldmeier
Host Salwa Houmsi
Autoren Kilian Mazurek, Janis Gebhardt
Supervising Sound Designer Sufian Auda, Florian Balmer
Sound Designer Fanny Huder, Carl Hangschlitt
Produktionsassistenz Alexander Hemsen
Mix und Master Fabian Klinke
Grafik Vanessa Neumann
Mitarbeit Philippa Halder
Social Media Redaktion Vanessa Neumann Aksinya Dorn
Sprachregie Friederike Wigger
Mit Reinhard Ernst, Oliver Kornhoff, Lea Schäfer, Mary Gabriel, Katy Hessel, Elizabeth Smith, Lise Motherwell, John Elderfield, Florian Illies, Jason Ysenburg
Es sprachen Ulrike Hübschmann, Timo Weisschnur, Marc Ben Puch, Kristin Suckow, Walburga Raeder, Velia Krause, Olaf Baden, Irina von Drisch, Benjamin Stöwe, Alix Dudel
All paintings shown by Helen Frankenthaler are from the Reinhard Ernst Collection, Wiesbaden: After Hours (1975); For Hiroshige (1981); Lunar Avenue (1975); Pyramid (1988); Sea Level (1976); Second Wind (1974); Spanning (1971); Untitled(1959/60) For all works • Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Cover Artwork Helen Frankenthaler, August 1973. Helen Frankenthaler Foundation Archives, New York. Photograph by Edward Youkilis. Artwork © 2025 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn. Helen Frankenthaler, Sea Level (1976), Sammlung Reinhard Ernst, Wiesbaden © Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025
Transkript anzeigen
00:00:00: (Unruhige Musik)
00:00:01: 26. Oktober 1952 in New York.
00:00:07: Helen betritt ihr Atelier in der 23. Straße.
00:00:12: Friedel, kannst du mir mal kurz helfen?
00:00:17: Ja, ich komm, ah.
00:00:24: Hinter einer großen Trennwand kommt Friedel Jubas hervorgeschluft.
00:00:30: Helen teilt sich das Atelier mit dem 37-jährigen Maler.
00:00:34: Er greift nach der großen schweren Rolle mit weißem Stoff in ihren Händen.
00:00:39: Oh, was ist das denn?
00:00:41: Ich war gerade beim Yachthafen und habe Segel gekauft.
00:00:44: Segel?
00:00:47: Ich will etwas richtig Großes malen.
00:00:50: Und das hier ist die größte Leinwand, die ich in New York finden konnte.
00:00:55: Segelplane.
00:00:59: Ich mache mir mal Frühstück.
00:01:01: Bist du gerade aufgestanden?
00:01:03: Wir haben Mittag.
00:01:04: Es ist zwei.
00:01:06: Ja, ich war im Sida.
00:01:08: Ah.
00:01:09: Gestern kam ein Brief von Marilyn.
00:01:11: Die Kinder bleiben bei ihr und sie bleibt im Haus.
00:01:15: Ach, Friedel.
00:01:16: Und wo bleibst du?
00:01:19: Ich schätze hier im Atelier.
00:01:22: Helen wirft einen Blick auf Jubas Seite des Ateliers.
00:01:28: Zwischen halb bemalten Leinwänden,
00:01:30: zwei randvollen Aschenbechern und leeren Konservendosen,
00:01:33: liegt eine Matratze auf dem Boden.
00:01:35: Friedel Jubas ist im Alter von 17 Jahren aus Berlin geflohen.
00:01:40: In Amerika wollte er Maler werden.
00:01:43: Seitdem schlägt er sich durch.
00:01:46: Doch gerade durchlebt er seine zweite Scheidung.
00:01:49: Jubas teilt sich ein Atelier mit Helen, um Kosten zu sparen.
00:01:53: Ich mache mir mal was zu essen.
00:01:58: (Spannungsvolle Musik)
00:02:00: Während Jubas hinter der Trennwand verschwindet,
00:02:06: beginnt Helen aus dem Segeltuch,
00:02:08: ein riesiges Stück herauszuschneiden.
00:02:10: Dann nimmt sie einige große Plastikeimer und gießt Farbe hinein.
00:02:17: Sie verdünnt die Farbe mit Terpentin, bis sie komplett flüssig ist.
00:02:26: Fast wie farbiges Wasser.
00:02:28: Was hast du vor?
00:02:33: Ach, keine Ahnung, weiß ich noch nicht.
00:02:35: Im Urlaub haben Clem und ich den ganzen Tag nur das Meer
00:02:39: und die Berge gemalt.
00:02:40: Und diese Landschaft hab ich noch in den Armen.
00:02:43: Die soll auf die Leinwand.
00:02:45: Helen nimmt einen der Eimer mit der wässrigen Farbe
00:02:51: und kniet sich auf die am Boden liegende Leinwand.
00:02:56: Dann neigt sie den Eimer
00:02:58: und schaut zu, wie die Farbe sich langsam auf der Leinwand ausbreitet.
00:03:02: Helen, hast du die überhaupt grundiert?
00:03:08: Die Farbe sickert da einfach durch.
00:03:11: Ja, ich weiß.
00:03:15: Jubas dreht sich kopfschüttelnd weg.
00:03:19: Ohne Grundierung, ohne Staffelei, ohne eine echte Leinwand
00:03:24: hockt Helen einfach über dem Segeltuch auf dem Boden
00:03:27: und kippt Farbe darüber.
00:03:29: Helen ist völlig in ihre Arbeit vertieft.
00:03:40: Mit Eimern oder Kaffeedosen erzeugt sie kleine Seen aus Farbe.
00:03:44: Sie beobachtet, wie Farbe sich gegeneinander drückt.
00:03:49: Flüsse entstehen, sich verästeln
00:03:52: oder zu neuen Nuancen vereinen.
00:03:54: Ein Meer aus Farbe, das langsam ansteigt,
00:04:00: allmählich in die Leinwand einsickert
00:04:04: und dort schließlich erstarrt.
00:04:09: Nach über drei Stunden steht sie auf und geht ein paar Schritte zurück.
00:04:22: Fredle?
00:04:24: Ich glaube, ich bin fertig.
00:04:27: Fertig? Dein Leben hätte ich gerne.
00:04:31: Dann würde ich meine Leinwände auch nicht grundieren,
00:04:34: ein paar Stunden drauf rummalen
00:04:36: und dann in meine schicke Wohnung fahren, um Sherry zu trinken
00:04:40: und mich der Abendplanung zu widmen.
00:04:42: Jubas schaut auf das Gemälde am Boden und verstummt.
00:04:48: Ich frage mal Clem, was er heute Abend macht.
00:04:52: Helen lässt Jubas stehen und geht zum Telefon.
00:04:57: Ja? Hallo, Clem.
00:05:01: Hast du Lust aufs San Remo heute Abend?
00:05:04: Geht mir mal den Hübert.
00:05:06: Komm mal hierher, du musst dir das angucken.
00:05:08: Wenige Minuten später stehen Helen, Jubas und Clemend Greenberg
00:05:15: vor dem großen Gemälde auf dem Boden.
00:05:18: Was sagst du, Clem?
00:05:20: Fantastisch.
00:05:22: Helen, hat das schon einen Namen?
00:05:25: Ja, Mountains and Sea.
00:05:29: Aber da fehlt noch etwas.
00:05:32: Sie nimmt einen Stift und tut etwas, was sie sonst nie tut.
00:05:37: Sie datiert das Bild auf den 26. Oktober 1952.
00:05:43: So, jetzt gehen wir erst mal was essen.
00:05:46: Boch auf, habt ihr Lust?
00:05:48: Pizza, chinesisch, Friedl, du kommst mit.
00:05:52: Es ist ihnen noch nicht bewusst.
00:05:55: Aber an diesem Oktober Nachmittag hat Helen Frankenthaler
00:06:00: die Kunstwelt für immer verändert.
00:06:03: Sie hat zu einem einzigartigen Stil gefunden,
00:06:06: der sie zu einer der größten Künstlerinnen aller Zeiten machen wird.
00:06:10: Mein Name ist Tsaiwa Humsie.
00:06:15: Ich bin Journalistin und Moderatorin.
00:06:18: Ihr hört Frankenthaler.
00:06:21: Wenn euch der Podcast gefällt, empfiehlt ihn weiter
00:06:24: und gebt uns fünf Sterne.
00:06:26: Das ist Folge 3 von 6.
00:06:29: Durchbruch.
00:06:32: In der letzten Folge ist Helen in den Underground
00:06:42: abgetaucht, hat die Nächte mit ihren Idolen
00:06:45: in heruntergekommenen Bars verbracht
00:06:49: und wurde Teil einer legendären Ausstellung, der "Nine Street Show".
00:06:53: Sie ist erst 24 Jahre alt, als sie scheinbar aus Versehen
00:06:56: eine neue Mahltechnik für sich entdeckt.
00:06:59: Diese Technik wird die Kunstwelt prägen
00:07:02: und den Namen Frankenthaler weltberühmt machen.
00:07:05: Doch statt Jubel und Anerkennung erntet Helen scharfe Kritik.
00:07:09: Die Erführende der Erführenden in der Erführenden-Krise führt sie
00:07:13: auf einen anderen Kontinent, wo sie bei den alten Meister
00:07:17: neue Inspiration findet.
00:07:19: Und sie wird sich schmerzhaft von einem alten Weggefährten trennen.
00:07:23: An einem Oktober Nachmittag 1952
00:07:26: malt Helen ein Bild namens "Mountains and Sea".
00:07:30: Eine abstrakte Landschaft aus blau, rot und grün,
00:07:33: mit schwingenden Linien und viel unbehandelter Leinwander zwischen.
00:07:37: Das Bild ist fast 3 Meter breit und über 2 Meter hoch.
00:07:41: Wirkt aber trotzdem total leicht, fast so, als würde es schweben.
00:07:46: Das Besondere ist nicht nur, was sie malt, sondern wie sie es malt.
00:07:50: Helen lässt die Farbe anstatt sie mit einem Pinsel aufzutragen,
00:07:54: direkt auf die Leinwand laufen.
00:07:56: Das wirkt vielleicht erst mal sehr simpel,
00:07:59: aber es ist tatsächlich ein richtiger Tabubrohr in der Kunstwelt.
00:08:03: Lea Schäfer, Kuratorin im Museum Reinheit der Welt.
00:08:06: Helen ist im Museum Reinheit Ernst und selbst Malerin.
00:08:10: Helen Schrenkenthaler ist berühmt geworden
00:08:13: für die Entwicklung der "Soak and Stain" Technik,
00:08:17: die man vielleicht am besten mit Tränken und Einfarben übersetzen kann.
00:08:21: Das meint also, dass sie die unbehandelte, also ungrundierte
00:08:25: und unaufgespannte Leinwand auf den Boden legt
00:08:28: und dann verdünnte Farbe nimmt und die direkt auf das Gewebe schüttet.
00:08:33: Auf der ungrundierten Leinwand kann die Farbe einsickern
00:08:37: und hinterlässt quasi Flecken.
00:08:39: Ein bisschen so wie Rotweinflecken auf einer weißen Tischdecke.
00:08:43: Daher der Name "Soak and Stain".
00:08:45: Dadurch, dass sie eben auf den Geweberollen arbeitet,
00:08:49: ist es natürlich auch eine Arbeit auf dem Boden.
00:08:52: Das heißt, wir arbeiten nicht mehr an dem Fenster zur Welt,
00:08:56: an dem Bild geführt, was irgendwie auf der Staffelei steht
00:09:01: und nicht nur das, sondern sie ist auf einer Ebene mit dem Gewebe,
00:09:05: auf das sie arbeitet.
00:09:07: Helen ist nicht die Erste, die eine Leinwand auf dem Boden legt.
00:09:12: Die Idee hat sie von Jackson Pollock,
00:09:15: der über seine riesige Leinwand gewirbelt ist
00:09:18: und die Farbe darauf getropft oder gespritzt hat.
00:09:21: Wir wissen, dass sie total begeistert war von Pollocks Arbeiten.
00:09:25: Auch erst mal das Tänzerische, was darin steckt,
00:09:28: dann aber auch die Tatsache, dass sie das Gefühl hatte,
00:09:31: wenn man die Bilder anguckt, sie könnten auch noch ewig weitergehen.
00:09:35: Anders als Pollock ist es aber dann eben nicht die Lackfarbe,
00:09:39: die sie vom Stock tropfen lässt, sondern sie verflüssigt die Farbe
00:09:44: und schüttet sie einfach.
00:09:46: Das muss man sich einmal vorstellen, was das heißt.
00:09:50: Oliver Kornhoff, der Direktor des Museum Reinhard Ernst.
00:09:54: Die Vorstellung, dass ein Bild auf einem Bildträger
00:09:58: sprich Farbe auf einer grundierten Leinwand zu sein hat,
00:10:02: hebelt sie völlig aus, in dem Farbe und Bildträger eins werden.
00:10:08: Das heißt, abbildendes und abgebildetes sind plötzlich eins.
00:10:12: Ein riesiger Paradigmenwechsel
00:10:14: in der Vorstellung von Malerei in der Mitte des 20. Jahrhunderts.
00:10:18: In der Jahrtausende alten Geschichte der Malerei
00:10:21: ging es eigentlich immer nur um eines.
00:10:23: Ein festgelegtes Motiv, ein Porträt, ein Stillleben
00:10:27: oder eine Natur-Szene mit Farbe und Pinsel auf einem Untergrund aufzutragen.
00:10:31: Also meistens eine Leinwand.
00:10:33: Sogar in der Steinzeit 16.000 Jahre vor Christus
00:10:37: wurden bereits Tiere mit einem Pinsel auf Felswände gemalt.
00:10:41: Das Prinzip war immer, die Künstlerin oder der Künstler
00:10:44: hat volle Kontrolle über das Bild.
00:10:46: Jeder Pinselstrich ist bewusst gesetzt,
00:10:49: damit am Ende ein klar erkennbares Motiv entsteht.
00:10:53: Das nennt man Autorenschaft.
00:10:55: Die Künstlerin ist sozusagen die Autorin des Bildes.
00:10:58: Und genau dieses hohe alte Verständnis von Kunst,
00:11:01: das stellt Helen einfach mal komplett auf den Kopf.
00:11:04: Und sie bringt das irgendwie zusammen
00:11:09: und verzichtet genau darauf, die Farbe konkret zu führen.
00:11:13: Sie verzichtet also darauf,
00:11:15: sich selbst in die Leinwand einzuschreiben,
00:11:18: sondern sie lässt die Farbe los,
00:11:20: gibt die Kontrolle darüber ab und macht die Farbe
00:11:23: mit der Künstlerin des Bildes.
00:11:25: Und das ist noch mal wirklich ein ganz krasser Schritt,
00:11:28: der weiter weggeht von Pollock,
00:11:30: der natürlich auch nicht mit dem Pinsel sich in die Leinwand einschreibt,
00:11:35: aber der trotzdem mit dem Stock und der tropfenden Lackfarbe
00:11:40: irgendwie diese Zeichnung auf diesem Bild führt.
00:11:43: Bei ihr ist das anders.
00:11:45: Sie gibt das ab und nimmt sich dadurch selbst zurück.
00:11:48: Und das ist eine Form von Freiheit, die, glaube ich,
00:11:51: sehr wichtig ist und die mich sehr bewegt.
00:11:54: Nicht mehr die Künstlerin allein malt das Bild,
00:11:57: sondern die Farbe fließt ein Stück weit wie sie will.
00:12:01: Die Farbe malt quasi mit, wird zur Komplizin.
00:12:04: Aber es ist nicht so,
00:12:08: als würde die Künstlerin keine Entscheidungen mehr treffen.
00:12:11: Welche Farbtöne werden wie angemischt?
00:12:14: Wo wird geschüttet und wo bleibt das Bild z.B. leer?
00:12:17: Und vielleicht die schwierigste Entscheidung?
00:12:20: Das ist fertig.
00:12:22: Lea Schäfer.
00:12:24: Das ist auch so eine Grundfrage zu entscheiden, wann das Bild fertig ist.
00:12:29: Das ist, glaube ich, eine der schwierigsten,
00:12:32: weil das auch impliziert, dass man rechtzeitig aufhört.
00:12:35: Es gibt ganz tolle Bilder, die entstehen,
00:12:38: es gibt aber auch viele mittelmäßig und schlechte Bilder.
00:12:41: Ich glaube, das hat damit zu tun, dass man manchmal nicht rechtzeitig aufhört.
00:12:45: Da kommt wieder die Bedeutung des Schauens ins Spiel.
00:12:48: Da ist es drin, der manchmal schon wie so ein Rauschzustand sein kann.
00:12:52: Dann aber trotzdem noch mal zurücktritt und genau analysiert,
00:12:56: wo steht das Bild?
00:12:58: Es geht so in eine richtige Richtung.
00:13:00: Was fehlt noch? Was ist vielleicht schon zu viel?
00:13:03: Mountains and Sea ist eine radikale Richtungswechsel.
00:13:07: Katie Hassell, die Autoren des Buches "The Story of Art Without Man",
00:13:11: die ihr schon aus der letzten Folge kennt.
00:13:15: Ich liebe diese Idee, dass sie auch gesagt hat,
00:13:18: dass sie die Kanvas vom Esel her entfernt und auf die Stoffe auf den Stoffe riecht.
00:13:22: Das war in ihre Worte ein Akt des Dishonoringes,
00:13:25: alles, was die Schauspieler hatte.
00:13:27: Sie hatte die Idee, dass sie ihre Leinwand von der Stoffe Leinahmen
00:13:30: und auf den Boden legte, was in ihren Worten eine Entehrung all dessen war,
00:13:33: was Malerei ausgemacht hatte.
00:13:35: Unter der Annahme, dass man alles besser wusste.
00:13:38: Sie zeigte uns etwas, das niemand zuvor gesehen hatte.
00:13:42: Sie ging an einen Ort, an dem niemand zuvor gewesen war
00:13:45: und brachte dieses Gemälde hervor.
00:13:47: Was ist ein Berg? Wie stellt man das mehr dar?
00:13:50: Sie hat damit wirklich die Kunst verändert.
00:13:57: Helen legt mit ihrer neu entdeckten Soak & Stain-Technik los,
00:14:00: als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
00:14:03: Sie und ihr Ateliermitbewohner Friedel Jubas
00:14:06: sind so angefix, dass innerhalb weniger Wochen
00:14:08: haufenweise Bilder anstehen.
00:14:11: Helen kommt kaum hinterher, so viele Ideen, die rausmüssen.
00:14:15: Sie schreibt ...
00:14:17: Ich sehe Nachts ein ganzes Gemälde vor mir.
00:14:20: Und versuche es am nächsten Tag direkt runterzumalen.
00:14:23: Manchmal komme ich auch ins Atelier mit einem Gefühl in meinem Kopf,
00:14:27: meinem Geist, meinem Herzen, meinen Armen, alles synchronisiert.
00:14:31: Sodass ich exakt weiß, was ich auf die Leinwand schütten will,
00:14:34: was ich heute machen will.
00:14:36: Sie bereitet sich fieberhaft auf eine große Solo-Ausstellung
00:14:41: in der Atibordinage Gallery vor.
00:14:44: Eine enorme Durchbruch für sie.
00:14:46: Die meisten Malerinnen und Maler der New York-School
00:14:49: hatten in ihrem ganzen Leben nicht eine Solo-Show.
00:14:52: Sie ist erst 24 und es ist bereits ihre zweite.
00:14:55: Auch wenn sie das ganz schön unter Druck setzt,
00:14:58: ist sie sowas vom Bereit, ihren Durchbruch der Welt zu zeigen.
00:15:02: Aber die Geschichte zeigt es immer wieder.
00:15:09: Revolutionäre Durchbrüche haben es eigentlich immer schwer
00:15:13: zu verfallen, erst mal auf Ablehnung.
00:15:15: Im Januar 1953 findet die Frankenthaler-Ausstellung
00:15:19: in der Atibordinage Gallery statt.
00:15:22: Ihr Bild "Mountains NC", was heute unbezahlbar ist,
00:15:25: hätte man damals einfach für 100 Dollar kaufen können.
00:15:29: Es ist also ein richtiger Schnapper.
00:15:31: Aber keiner will das Bild haben.
00:15:34: Die Kritiken zur Ausstellung sind katastrophal.
00:15:37: Sie reichen von verständnislosem Achselzucken
00:15:40: bis hin zu offener Feindseligkeit.
00:15:42: Das Kunstmagazin ArtNews schreibt,
00:15:45: "Luftigkeit und glücklicher Zufall sind nicht genug für ein Bild.
00:15:49: Frankenthaler scheint nicht wirklich in ihre Kunst involviert zu sein."
00:15:53: Die New York Times nennt die Bilder "süß und ambitioniert
00:15:57: ein Strauß netter Harmonien".
00:15:59: Und ein Kritiker fragt sogar,
00:16:01: warum man denn einen alten, vollgesogenen Farbschwamm
00:16:04: aus dem Atelier auf eine 2-Meter-Leinwand vergrößern sollte.
00:16:08: Helen erinnert sich in einem Brief.
00:16:11: "Jemand hat vor Wut das Bild beschädigt.
00:16:14: Einige Leute sahen es als einen vergrößerten alten Waschlappen,
00:16:18: etwas, an dem man seine Pinsel abwischt,
00:16:22: nicht etwas, das man einrahmt."
00:16:25: Dass die Kritiker*innen ihre Bilder nicht mögen,
00:16:30: überrascht Helen nicht.
00:16:32: Die Bilder der New York-School werden in den großen Medien
00:16:36: regelmäßig zerrissen.
00:16:38: Das ist für die Kritiker*innen und Kollegen.
00:16:41: Helen-Style ist auch für sie so neu,
00:16:43: dass die meisten nicht wissen, was sie damit anfangen sollen.
00:16:47: Gerade weil die Bilder nicht expressiv und wild sind,
00:16:50: also so, wie der Abstrakt der Expressionismus bisher immer sein wollte.
00:16:54: Sondern eher schwebend und leicht, wie Helen ihn sich wünscht.
00:16:58: Die meisten in der Szene schweigen einfach.
00:17:01: Es gibt keine harten Reaktionen, keine Konfrontation,
00:17:04: keine nächtlichen Diskussionen in der SIDA-Bar.
00:17:08: Nichts.
00:17:10: Helen trifft das hart.
00:17:12: Sie wünscht sich diesen Austausch so sehr.
00:17:15: Von ihm hat sie nicht nur persönlich gezerrt,
00:17:19: sondern auch ihren eigenen künstlerischen Ausdruck entwickelt.
00:17:23: Stattdessen redet man jetzt mehr über sie als mit ihr.
00:17:26: Ihre Freundin Grace Hartigan schreibt in ihrem Tagebuch,
00:17:29: dass sie die Werke "substanzlos und uninvolviert" findet.
00:17:33: Sie habe bisher wirklich gedacht, dass Helen talentiert sei.
00:17:37: Die nächste Ausstellung lässt sie daran jetzt ernsthaft zweifeln.
00:17:41: Warum werden ihre Bilder so stark abgelehnt?
00:17:46: Die breite Öffentlichkeit weiß nicht,
00:17:48: was sie in den Gemälden sehen soll.
00:17:51: Und die Kunstszene, die es meint, zu wissen, wird enttäuscht.
00:17:55: Sie hat sich an den harten und maskulin Abstraktionismus bereits gewöhnt.
00:17:59: Elizabeth Smith,
00:18:01: Executive Direktorin der Helen Frankenthaler Foundation.
00:18:05: Helen Frankenthaler war im Laufe ihrer Karriere,
00:18:09: und selbst als junge Künstlerin in den 1950er-Jahren Kritik ausgesetzt.
00:18:14: Einige schrieben über ihre Arbeiten, dass sie zu dekorativ sein
00:18:18: und nicht ernst oder tief genug.
00:18:21: Und das war etwas, das sie wirklich störte.
00:18:25: Das machte sie sehr wütend.
00:18:27: Ihre Arbeiten waren weit entfernt, davon nur dekorativ zu sein.
00:18:31: Sie beschäftigte sich mit formalen Problemen,
00:18:34: mit Fragen der Komposition, der Farben, der Beziehungen.
00:18:38: Aber ihre Arbeiten waren von sich aus dynamisch und explorativ.
00:18:42: Jahre später wird Grace Hartigan ein Flapsigen,
00:18:49: aber wirklich vielsagenden Kommentar von sich geben.
00:18:52: Sie hätte damals einfach das Gefühl gehabt,
00:18:55: Helen hätte ihre Bilder mal kurz zwischen Cocktail und Dinner gemacht.
00:18:59: Eine Anspielung auf Helens Herkunft aus der Upper-Class.
00:19:03: Aber auch Teil einer tiefer liegenden Diskussion in der Kunstwelt.
00:19:07: Kann tiefsinnige Kunst nur aus Schmerz und Leid entstehen?
00:19:12: Viele befreundete Künstlerinnen und Künstler
00:19:15: unter anderem Grace Hartigan und Larry Rivers sind dieser Auffassung.
00:19:19: Gute Kunst braucht immer ein Struggle.
00:19:22: Grace Hartigan ist jahrelang bitterarm,
00:19:25: ernährt sich nur von Haferflocken
00:19:27: und trägt mehrere Winterjaggen übereinander,
00:19:30: um in ihrem unbeheizten Atelier Dunkel
00:19:32: fast gewaltsame Bilder zu produzieren.
00:19:35: Oder Jackson Pollock.
00:19:38: Er kämpft sein ganzes Leben lang mit einer schweren Alkohol-Suft.
00:19:42: Nüchtern ist er ein introvertierter, fast ängstlicher Typ.
00:19:46: Sobald er trinkt, wird er als schmerzerfülltes Tier beschrieben,
00:19:50: das Heulen durch die Straßen zieht und randaliert.
00:19:54: Seine Kunst produziert er in Anfällen zwischen Gästen und Schmerzen.
00:19:57: Er ist in Anfällen zwischen Genie und Wahnsinn.
00:20:00: Bei Grace Hartigan und Jackson Pollock
00:20:02: ist genau dieser innere Kampf für das Publikum
00:20:05: auf der äußeren Leinwand sichtbar.
00:20:07: Helen dagegen ist eine ganz andere Künstlerin.
00:20:10: Yosokin Stain ist weniger ein Kampf und mehr ein Fließenlassen.
00:20:14: Auch Helen malt nicht jeden Tag ein Meisterwerk.
00:20:23: Sie produziert unzählige Bilder, die ihr nicht gefallen
00:20:26: hat.
00:20:28: Lea Schäfer, Dekoratorin des Museums, Reinhard Ernst.
00:20:32: Die Frage ist ja auch, wie definiert man ein gutes Bild?
00:20:35: Muss man für ein gutes Bild acht Stunden mal fünf Tage dransitzen,
00:20:39: damit es ein Wochenwerk ist, im Sinne von jetzt ist es fertig gemalt?
00:20:43: Oder ist es nicht gerade die Leistung zu sehen,
00:20:46: ah, ich habe jetzt hier was gemacht, ich habe vier Entscheidungen getroffen,
00:20:50: die waren alle gut, ich muss jetzt unbedingt aufhören.
00:20:53: Das ist eine sehr gute Möglichkeit, die man anerkennen kann.
00:20:56: Eine weitere Kritik an Helens Werken ist ihre Farbauswahl.
00:20:59: Während die anderen der New York School meist mit schweren
00:21:03: oder aggressiven Farben arbeiten, nutzt sie helle, ja,
00:21:07: oft fröhliche Farben.
00:21:09: Etwas, das ihr das Vorurteil einbringt, Feminine zu malen.
00:21:13: Katie Hesse.
00:21:15: Being too feminine, what does that even mean?
00:21:18: Should that be something steeped in negativity?
00:21:21: Or is it just charged with power?
00:21:23: Ihre Arbeit als zu Feminine zu bezeichnen,
00:21:26: ich meine, was soll das überhaupt heißen?
00:21:28: Soll das etwas sein, das negativ ist oder etwas, das kraftvoll ist?
00:21:32: Ich meine, dann könnte man argumentieren,
00:21:34: dass die Natur an sich das Landschaften Feminine sind.
00:21:37: Frankenthaler's Arbeit ist so sehr mit Wasser und Landschaft
00:21:41: und diesen fließenden Formen und Linien verbunden.
00:21:44: Und sie sind allgegenwärtig in unserer Welt.
00:21:47: Ich stimme dem Argument überhaupt nicht zu,
00:21:50: dass sie einen Struggle haben muss, um eine Künstlerin zu sein.
00:21:53: Ich denke, das ist Schwassern.
00:21:55: Und wir sollten nicht ausschließen,
00:21:57: dass Frankenthaler nicht auch gestruggelt hat.
00:21:59: Nur als Frau in dieser Zeit hat sie so viel durchgemacht.
00:22:02: Sie mag in einem privilegierten Umfeld aufgewachsen sein,
00:22:05: aber das nimmt ihr nicht den Struggle auf so viele andere Arten.
00:22:09: Hellens Bilder sind aber genau deswegen mutig,
00:22:12: weil sie sich traut,
00:22:15: eher leicht anmutende Bilder mit hellen Farben auszustellen.
00:22:18: Sie war tatsächlich eine Regelung.
00:22:21: Und sie war tatsächlich etwas von einem Ruhlbrecher.
00:22:25: Sie war tatsächlich eine Regelung.
00:22:27: Sie war tatsächlich eine Regelnau.
00:22:28: und Pionieren. Gerade weil sie keine Angst hatte, vermeintlich feminine Farben zu verwenden,
00:22:35: z.B. Pink oder Gelb oder Pastellfarben, gemeinsam mit tiefen, dunklen Farben.
00:22:43: Sie mischte das alles auf eine Weise, die wirklich einzigartig aus ihrer eigenen Stimme kam,
00:22:49: als Frau, als Kind ihrer Zeit und ihrer Umgebung, aber auch als jemand, der Kunst immer weiter entdecken wollte.
00:22:57: 1953 sehen die Menschen das noch anders. Und gerade als sie in ihrer erste tiefe künstlerische Krise fällt,
00:23:05: bahnt sich in diesem Jahr noch eine weitaus persönlichere Katastrophe an.
00:23:10: Kurz nach ihrer Ausstellungseröffnung verschlechtert sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter extrem.
00:23:21: Martha Frankenthaler leidet unter Parkinson, eine damals noch unbehandelbare Krankheit.
00:23:28: Helen besucht ihre Mutter häufig und begleitet sie ins Krankenhaus.
00:23:32: Der Prozess erinnert sie an den frühen und schmerzhaften Verlust ihres Vaters.
00:23:37: Denn auch Marthas Bewegungsfreiheit und Eigenständigkeit verschlechtern sich unaufhaltsam schnell.
00:23:43: Helen schreibt,
00:23:45: sie ist in vielerlei Hinsicht eine sehr hilflose, hoffnungslose Frau.
00:23:50: Die ganze Situation ist deprimierend und schwer zu bewältigen.
00:23:54: Von ihrem Lebenspartner klemmen wird sie in dieser schweren Zeit kaum unterstützt.
00:24:01: Greenberg ist mit sich selbst beschäftigt.
00:24:03: Er wird immer neurotischer, ist von Selbstzweifel zu zufressen und übt mehr und mehr Kontrolle über Helen aus.
00:24:10: Die beiden stecken bald fest in einer nervenaufreibenden Unoff-Beziehung.
00:24:15: Parallel dazu verändert sich Clems Status in der Kunstwelt.
00:24:19: Lange haben alle zu ihm dem genialen Kritiker aufgeschaut.
00:24:24: Aber für viele Künstlerinnen und Künstler der zweiten Generation
00:24:27: ist aus Papst Clem ein richtiger Tyran geworden.
00:24:31: Mary Gabriel
00:24:35: Jetzt sind es ungefähr 15 Jahre in seiner Buchstelle.
00:24:40: Und jetzt begann Clem seine eigene Propaganda.
00:24:44: Das schrieb er schon seit etwa 15 Jahren.
00:24:47: Und zu diesem Zeitpunkt begann Clem seine eigene Propaganda zu glauben,
00:24:52: dass er der König war, dass er nicht nur diktieren konnte, was andere über Kunst fühlten,
00:24:58: sondern dass er tatsächlich dachte, dass auch die Künstlerinnen und Künstler auf das hören sollten, was er zu sagen hatte.
00:25:05: Dass sie tun sollten, was er sagte.
00:25:08: Das war der Moment, in dem die Arroganz von Clem Greenberg die berühmte Arroganz wirklich zerstörerisch wurde.
00:25:17: Die zweite Generation will sich ihm nicht mehr unterordnen.
00:25:23: Sie rebellieren gegen Greenberg.
00:25:25: Auch deshalb, weil er sich immer häufiger abfällig gegenüber Frauen äußert.
00:25:29: In an einem Abend mit Helen Grace, Lee Krasner,
00:25:36: einer Gruppe von Frauen und Männern zusammen hatte Clem die Dreistigkeit und vielleicht die Blindheit,
00:25:43: zu sagen, dass es nie eine große Künstlerin geben würde.
00:25:47: Und dass, obwohl er mit Frauen zusammen saß, die keine großen Künstlerinnen werden würden,
00:25:52: sondern bereits welche waren.
00:25:55: Clem verliert komplett den Halt und zerstreitet sich mit fast allen seinen alten Weggefährten.
00:26:01: Grace Hartigens Bilder findet er furchtbar.
00:26:04: Jackson Pollock erklärt er für künstlerisch tot.
00:26:08: Mit seinem Verhalten isoliert sich Greenberg von allen.
00:26:11: Helen hält weiter zu ihm und wird damit auch isoliert.
00:26:15: Sie fühlt sich im Sider nicht mehr wohl, zieht sich aus der Szene zurück.
00:26:19: Ihre Klicke, die T-Bore Five, bricht auseinander.
00:26:23: Tensions started to increase.
00:26:27: Von da an wuchsen die Spannungen zwischen Helen und ihren engsten Freundinnen und Freunden der zweiten Generation,
00:26:36: vor allem Grace Hartigan.
00:26:38: Die zweite Generation war bis dahin eine so enge Gruppe und so füreinander da.
00:26:43: Diese Einmischung von Clem ruinierte das alles.
00:26:46: Helen verließ die T-Borde Nash-Galerie und verließ diese Gruppe von Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Familie gewesen war.
00:26:53: Die ihr sogar näher waren als ihre tatsächliche Familie.
00:26:57: Nach drei Jahren in ihrer Kunstfamilie wie Helen sie nennt, fühlt sie sich plötzlich allein, persönlich isoliert und künstlerisch missverstanden.
00:27:07: Und das obwohl sie gerade ihren Durchbruch hat.
00:27:10: Vielleicht auch gerade deswegen.
00:27:13: Helen rutscht in eine depressive Phase.
00:27:16: Schon seit ihrer Kindheit kämpft sie immer wieder mit Depression.
00:27:20: Sie geht seit Jahren regelmäßig zur Therapie und obwohl sie diese Sitzungen immer sehr geschätzt hat, empfindet sie diese mittlerweile als langweilig.
00:27:28: Nach drei wilden Jahren in der Avantgartenne mit vielen Partys und kaum Pausen, beginnt Helen zum ersten Mal an sich selbst zu zweifeln.
00:27:37: War es wirklich richtig, alle Konventionen hinter sich zu lassen und Malerin zu werden?
00:27:42: Macht sie überhaupt Kunst, die etwas bedeutet?
00:27:45: Oder ist sie in ein paar Jahren eh egal und vergessen?
00:27:49: Wird sich überhaupt jemand für abstrakte Kunst interessieren?
00:27:53: Oder ist die New York School am Ende nur ein Hype, der bald verpufft?
00:27:58: Helen schreibt dazu in einem Brief.
00:28:01: Nichts ist mir mehr wichtig.
00:28:03: Ich nehme mein Leben nicht sehr ernst, kümmere mich nicht genug.
00:28:07: Ich habe das Gefühl, dass ich ganz kurz davor bin, wichtige Entscheidungen zu treffen.
00:28:14: Aber das Schwere ist sie wirklich zu treffen.
00:28:17: Es ist eine Frage von Untergehen oder Schwimmen geworden.
00:28:21: Und meine Depressionen verstärken das Gefühl des Untergehens.
00:28:26: Um nicht unterzugehen, muss sie weg.
00:28:32: Weg aus New York, weg von Clem, weg von der abstrakten Kunst.
00:28:37: [Musik]
00:28:49: Juli 1953.
00:28:52: Die MS Constitution gleitet durch den Atlantik.
00:28:57: Ein luxuriöses Schiff, zwei Fußballfelder lang, glanzvoll, elegant.
00:29:04: Im Deck steht eine Frau allein am Geländer und blickt hinaus in die Weite.
00:29:09: Links und rechts von ihr ragen die drei massiven Schaunsteine in den Himmel.
00:29:14: Helen Frankenthaler, 24 Jahre alt, alleinreisend.
00:29:18: Ohne Mann, ohne Kinder.
00:29:21: Dafür mit unzähligen Fragen im Kopf, die sie zu dieser Flucht aus New York bewogen haben.
00:29:28: Sechs Tage nur Wasser. Sechs Tage nur ich.
00:29:34: Sie schließt die Augen. Die kalte Meeresluft auf der Haut,
00:29:41: das sanfte Schwanken des Schiffes, das Monotone Rauschen der Wellen.
00:29:46: Ein Rhythmus, der ihre Gedanken ordnet.
00:29:49: Sie denkt zurück an die letzten Monate.
00:29:54: [Musik]
00:29:59: Die Siderbar, stimmen voller Eifer und Ego.
00:30:03: Klam, inzwischen abgehoben und unnahbar, verliert sich immer mehr in seinen Theorien.
00:30:09: Helen war eine von wenigen Frauen in der Szene, aber das spielte keine Rolle mehr.
00:30:15: Sie spürte es in den Blicken der Männer. Ist sie doch schon eine Rivalen?
00:30:20: Ihre Freundin Grace wendet sich immer mehr von ihr ab.
00:30:24: Vielleicht ein Missverständnis, vielleicht ein Verrat. Vielleicht beides.
00:30:30: Verzeihung, Madame. Geht es Ihnen gut?
00:30:34: Oh, natürlich. Vielen Dank.
00:30:39: An freundlichen Worten hat es in den letzten Wochen gefehlt.
00:30:43: Die Kritiken an ihrer letzten Ausstellung hemmern nach.
00:30:47: Sie wusste, dass die Presse ihr nicht wohlgesonnen war,
00:30:50: aber das Schweigen ihrer Kollegen schmerzte mehr.
00:30:54: Und dann die Last ihrer persönlichen Kämpfe.
00:30:57: Ihre Mutter, die immer kränker wird, die Therapiesitzungen, die keinen Trost mehr spenden.
00:31:03: Das Gefühl, in die Bedeutungslosigkeit zu treiben.
00:31:07: Entscheidungen stehen an, über ihre Karriere, über ihre Beziehungen zu klemmen,
00:31:13: über ihr eigenes Leben.
00:31:16: Die alten Meister in Madrid.
00:31:24: Hobens, Tizian.
00:31:27: Farben, die Lodern, Linien, die sich auflösen.
00:31:32: Helen will nicht fliehen, sie will sehen.
00:31:36: Neu sehen.
00:31:40: * Musik *
00:31:43: Im Sommer 1953 steht Helen vor dem Prado in Madrid.
00:32:00: Die Straße, die zum berühmten Museum führt, ist rot-gelb geschmückt.
00:32:05: Es ist heiß und drückend.
00:32:08: Helen will Inspiration finden, nicht im hektischen New York,
00:32:12: sondern in den kühlen Mauern, umgeben von den alten Meistern, die sie liebt.
00:32:17: Tizian, Velazquez und Hobens.
00:32:21: Helen war von allen amerikanischen Künstlern der zweiten Generation tatsächlich die europäischste.
00:32:37: Ihr Zufluchtsort war Europa.
00:32:40: Die Kunstschaffenden ihrer Generation blickten alle auf New York.
00:32:44: Das war das, was existierte. Dort wollten sie sein.
00:32:47: Aber Helen war wirklich ein Kind Europas und ein Kind der Kunstgeschichte.
00:32:51: Und so ging sie immer wieder zurück, um dort Inspiration zu sammeln.
00:32:56: Sie liebt es, sich in den alten Gemälden zu verlieren.
00:33:06: Vor allem Peter Paul Rubens vererrt sie.
00:33:09: Für Helen ist er der größte Maler aller Zeiten.
00:33:12: Engel, Götter, königlicher Prunk.
00:33:15: Seine Bildwelten sind für Helen erfrischendes Kontrastprogramm zur abstrakten Welt der New York School.
00:33:22: Doch Helen studiert nicht nur die alten Meister.
00:33:30: Und auf diese wirklich soziale Art, die sie hatte, gönnte sie sich das Beste, was die alte Kunstwelt zu bieten hatte
00:33:37: und den größten Spaß, den die neue Kunstwelt zu bieten hatte.
00:33:41: Sie verbrachte ihre Tage in Museen und ihre Nächte beim Tanzen und Champagner trinken.
00:33:47: Das war das Leben von Helen Frankenthaler.
00:33:50: Diese zwei Monate weit weg, irgendwo im fremden Europa, geben ihr die Kraft und den Mut.
00:33:56: Für den Weg zurück nach Hause.
00:34:00: Zurück in New York möchte Helen jetzt endlich ihr Leben neu ordnen.
00:34:05: Die Begegnung mit der Kunst der alten Meister hat sie bestärkt.
00:34:09: Helen ist überzeugt, Soak and Stain ist genau der richtige Weg.
00:34:14: Eine innere Sicherheit, die sie sich zurückerobert hat
00:34:17: und mit der sie jetzt bereit ist, sich gegen die öffentliche Kritik zu stellen.
00:34:21: Ich bin richtig nervös, endlich wiederarbeiten zu können.
00:34:27: Ich kann es kaum erwarten.
00:34:29: Es ist mir egal, wer die Bilder sieht und was die Leute über sie sagen.
00:34:33: Ich weiß, was meine Bilder können.
00:34:36: Das ist genug Publikum für mich.
00:34:39: Im März 1953 macht Helen Nägel mit Köpfen.
00:34:45: Sie zieht aus dem kreativen Downtown zurück nach Uptown in ihr altes Viertel.
00:34:51: Das neue Apartment liegt an der West End Avenue, westlich vom Central Park,
00:34:56: mit Blick auf den Hudson River.
00:34:59: Hier hofft sie, endlich zur Ruhe zu kommen und sich wieder ganz aufs Malen konzentrieren zu können.
00:35:04: Auch an ihrer Beziehung mit Clem möchte sie arbeiten.
00:35:07: Seit ihrer Rückkehr aus Europa sehen sie sich fast täglich.
00:35:11: Gehen, Pasta essen und ins Kino.
00:35:14: Langsam fühlt sich Helen wieder sicher und ausgeglichen.
00:35:18: Bis am 23. April 1954 die Nachricht kommt, die alles aus dem Gleichgewicht bringt.
00:35:26: Ihre Mutter Martha Frankenthaler hat sich das Leben genommen.
00:35:32: Die lebenslustige und extrovertierte Frau hat durch die Krankheit ihren Lebenswillen verloren.
00:35:39: Sie springt vom Balkon ihres Appartments im 14. Stock.
00:35:43: Dieser Schock bringt Helen's neu wiedergefundene Stärke ins Wanken.
00:35:48: Um irgendwie damit klarzukommen, sucht sie Halt bei Clem.
00:35:52: Als Clem sie zum Abendessen traf, tröstete er sie nicht.
00:36:07: Stattdessen war seine Antwort auf den Tod ihrer Mutter.
00:36:11: "Naja, ich mochte sie sowieso nie."
00:36:14: Und das war der Moment, in dem Helen erkannte, wer Clement Greenberg war
00:36:18: und welchen schlechten Einfluss er auf sie hatte.
00:36:21: Sie respektierte ihn als Intellektuellen, aber das war das Ende ihrer Beziehung.
00:36:32: In diesem sensiblen Moment trifft sie Clement Greenberg's Kaltherzigkeit wie ein Schlag ins Gesicht.
00:36:40: What finally caused her to break with Clem.
00:36:44: Was sie schließlich dazu brachte, sich von Clem zu trennen, war die Respektlosigkeit
00:36:49: und die Verachtung, die er ihrer Mutter gegenüber zeigte.
00:36:53: Und das war auch Teil seiner Frauenfeindlichkeit.
00:36:57: Helens Mutter hatte Clem nie als den richtigen Mann für Helen akzeptiert.
00:37:03: Möglicherweise zurecht.
00:37:06: Für Helen ist das der Schlussstrich.
00:37:13: Greenberg's toxischer Einfluss ist für sie mittlerweile eindeutig und einfach zu viel.
00:37:18: Sie will ihr Leben nicht länger mit diesem Mann teilen.
00:37:23: * Musik *
00:37:26: Oktober 1955 in New York.
00:37:32: In einem großen Apartment im East Village.
00:37:35: Helen gibt eine Party für Paul Fili.
00:37:38: Er ist einer ihrer ehemaligen Lehrer aus Bennington
00:37:42: und hat gerade eine Ausstellung in der Stadt.
00:37:45: Helen ist bekannt dafür, eine fantastische Gastgeberin zu sein.
00:37:49: Alles ist perfekt und die Gäste genießen den Abend.
00:37:53: Alle bis auf einen.
00:37:57: Ihr Exfreund Clem und Greenberg steht in der Küche
00:38:01: und beobachtet das Treiben mit ernster Mine, während er einen Sekt öffnet.
00:38:06: Einige Gäste sitzen in Sessel, trinken und rauchen, andere tanzen.
00:38:12: Aber Clems Blick klebt an Helen.
00:38:15: Mit ihren schulterlangen, welligen Haaren ist sie eine strahlende Erscheinung.
00:38:20: Wie sie da direkt neben dem Plattenspieler steht und ein Cocktailglas in der Hand hält.
00:38:26: Und Greenberg kann nicht ignorieren, dass neben ihr ein neuer Mann steht.
00:38:32: John Myers ist der Besitzer der Galerie Tibor de Nage.
00:38:42: Er ist groß, blond, gut aussehend und bekannt dafür zu tratschen
00:38:48: oder selbst der Inhalt von Tratsch zu sein.
00:38:51: Miles folgt Clems starren Blick und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
00:38:57: Ah, Helen's neuer Freund, kennt ihr euch schon?
00:39:03: Nein, nun das ist Howard Zäckler, ein sehr erfolgreicher Drehbuchautor und Poet.
00:39:09: Er hat gerade ein Drehbuch geschrieben mit diesem neuen Regisseur Stanley Kubrick.
00:39:15: Wie heißt er noch?
00:39:17: Stanley Kubrick? Genau der.
00:39:20: Was meinst du, wie alt dieser Zäckler ist?
00:39:23: Diese Haare, er ist echt gut gebaut.
00:39:26: Aber höchstens Mitte 30, oder?
00:39:29: Clem geht nicht darauf ein, sondern sieht zu, wie Helen zum Plattenspieler geht.
00:39:36: Ihre Lieblingsplatte. Sie haben früher oft dazu getanzt.
00:39:41: Sie nimmt den jungen Drehbuchautor an die Hand und beginnt sich elegant zu bewegen.
00:39:48: Während das tanzende Paar immer mehr Blicke auf sich zieht, verkrampft Greenbergs Kiefer.
00:39:55: Süß, die beiden, weißt du, was Helen mir erzählt hat?
00:40:00: Nein, sie hat gesagt, I am madly in love.
00:40:08: Der fast 2 Meter große Myers sagt zu Boden.
00:40:12: Doch bevor irgendwer reagieren kann, stapft Greenberg durch den ganzen Raum.
00:40:17: Er steuert direkt auf Helen zu.
00:40:20: Diesen Typen liebst du?
00:40:23: Vor den Augen der versammelten Gesellschaft,
00:40:27: urfeigt Clem die Gastgeberin.
00:40:30: Noch bevor jemand etwas sagen kann, dreht Clem sich um und geht auf ihren neuen Freund los.
00:40:37: Doch gegen den sportlichen Sackler hat er keine Chance.
00:40:42: Clem ist verrückt geworden, schafft ihn hier raus.
00:40:46: Greenberg turmt. Helen hält sich die Wange und blickt ihm hinterher.
00:40:52: Noch nie hat sie jemand geschlagen, noch nie hat sie jemand vor den Blicken aller so gedemütigt.
00:40:59: Nie wieder möchte sie etwas mit Clem und Greenberg zu tun haben.
00:41:03: Sie muss sich endgültig von diesem Mann lösen.
00:41:10: Das war etwas, das damals leider nicht allzu ungewöhnlich für Männer war.
00:41:26: Ich meine selbst, die Filmhelden wie Humphrey Bogart schlugen Frauen auf der Leinwand.
00:41:32: Es war einfach etwas, das kulturell, ich bin schockiert, das überhaupt zu sagen.
00:41:37: Aber etwas, das nicht als inakzeptabel angesehen wurde.
00:41:41: Für die Frau war es eine Demütigung, aber den Männern wurde dafür nicht wirklich die Schuld gegeben.
00:41:50: Aber nicht, wenn es um Helen Frankenthaler ging.
00:41:55: Es gab keinen Mann auf der Welt, der ihr das antun konnte und damit durchkam.
00:42:00: Also kamen all ihre Freunde zusammen, um sie zu unterstützen und Clem war draußen aus dieser Welt.
00:42:08: Helen muss unbedingt wieder zu sich finden, ihre Schaffenskrise, ihre depressiven Phasen überwinden und den Tod ihrer Mutter verarbeiten.
00:42:16: Und zwar allein, ohne Clem und Greenberg.
00:42:20: Aber sich von diesem immer noch sehr einflussreichen Mann zu lösen, ist alles andere als leicht.
00:42:30: Das war Folge 3 von Frankenthaler.
00:42:38: Mein Name ist Zahler Humsey.
00:42:41: Wenn euch der Podcast gefällt, dann empfiehlt ihn gerne weiter und gebt uns fünf Sterne.
00:42:45: Frankenthaler ist eine Produktion von Studio J und dem Museum Reinhard Ernst 2025.
00:42:53: Executive Producerin für das Museum Reinhard Ernst, Katrin Grün, Ines Gutieres.
00:43:00: Für Studio J, Executive Producer Janis Gebhardt.
00:43:05: Producerin Helene Feldmayer.
00:43:08: Autoren Kiljan Matsurek, Janis Gebhardt.
00:43:12: Sprachregie Friederike Wigger.
00:43:15: Superweisen Sound Designer Sufián Auda, Florian Balma.
00:43:20: Sound Designer Fanny Huda, Karl Hansschlitt.
00:43:24: Produktionsassistenz Alexander Hemsen.
00:43:28: Mix & Master Fabian Klinke.
00:43:31: Mitarbeiter Philippa Halder.
00:43:34: Social Media Redaktion Vanessa Neumann, Axinia Dorn.
00:43:49: Wenn ihr Kunst nicht nur anschauen, sondern wirklich erleben wollt,
00:43:53: mit all ihren Geschichten, Überraschungen und kleinen Irritationen,
00:43:57: dann hört mal rein in Kunst-Snack, den Podcast der staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.
00:44:02: Moderiert wird er von Kunstkomedien Jakob Schwerdfeger
00:44:06: und er schafft es, Kunst nicht nur verständlich, sondern echt unterhaltsam zu erzählen.
00:44:11: In gerade mal rund fünf Minuten pro Folge nimmt er euch mit auf überraschende Streifzüge
00:44:16: durch acht Jahrhunderte Kunstgeschichte aus der Sammlung der staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.
00:44:21: Da geht's dann zum Beispiel um Star Wars Vibes bei Laslo Moholi-Nodsch,
00:44:26: wie sich Katharina Treu als Selfmade-Künstlerin im Barock behauptet hat.
00:44:31: Warum ein Selbstportrerembranz aus der Kunstheilensammlung
00:44:34: einen großen Auftritt in einem Hollywood-Film mit George Clooney hatte
00:44:38: oder warum ein Bild von Paula Morderson-Bekker an einem Biomarkt erinnert?
00:44:43: Der Kunst-Snack serviert kurze Facts leicht bekömmlich, smart, charmant, überraschend
00:44:48: und perfekt für Zwischendurch.
00:44:50: Kunst-Heilen-Podcast Kunst-Snack findet ihr überall, wo es Podcasts gibt,
00:44:54: den Link gibt's in den Show-Nauts.
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