Goldrausch | 4

Shownotes

Nach einem dramatischen Verlust gerät die New Yorker Kunstszene in Aufruhr – und plötzlich steht Helen Frankenthaler im Zentrum eines kulturellen Umbruchs. Während Kunst zum Investitionsobjekt wird und der Markt explodiert, sucht Helen nach einem Weg, sich künstlerisch treu zu bleiben. Zwischen medialer Aufmerksamkeit, alten Freundschaften und neuen Herausforderungen beginnt sie, ihren Stil weiterzuentwickeln – kompromisslos und voller Neugier. Inmitten des Trubels begegnet sie einem Mann, der mehr für sie bedeutet, als sie zunächst ahnt. Eine Folge über Aufbruch, Anerkennung – und die Kunst, inmitten des Rummels die eigene Stimme nicht zu verlieren.

Executive Producerinnen für das Museum Reinhard Ernst Kathrin Grün, Ines Gutierrez

Executive Producer Janis Gebhardt

Producerin Helene Feldmeier

Host Salwa Houmsi

Autoren Kilian Mazurek, Janis Gebhardt

Supervising Sound Designer Sufian Auda, Florian Balmer

Sound Designer Fanny Huder, Carl Hangschlitt

Produktionsassistenz Alexander Hemsen

Mix und Master Fabian Klinke

Grafik Vanessa Neumann

Mitarbeit Philippa Halder

Social Media Redaktion Vanessa Neumann Aksinya Dorn

Sprachregie Friederike Wigger

Mit Reinhard Ernst, Oliver Kornhoff, Lea Schäfer, Mary Gabriel, Katy Hessel, Elizabeth Smith, Lise Motherwell, John Elderfield, Florian Illies, Jason Ysenburg

Es sprachen Ulrike Hübschmann, Timo Weisschnur, Marc Ben Puch, Kristin Suckow, Walburga Raeder, Velia Krause, Olaf Baden, Irina von Drisch, Benjamin Stöwe, Alix Dudel

All paintings shown by Helen Frankenthaler are from the Reinhard Ernst Collection, Wiesbaden: After Hours (1975); For Hiroshige (1981); Lunar Avenue (1975); Pyramid (1988); Sea Level (1976); Second Wind (1974); Spanning (1971); Untitled(1959/60) For all works • Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Cover Artwork Helen Frankenthaler, August 1973. Helen Frankenthaler Foundation Archives, New York. Photograph by Edward Youkilis. Artwork © 2025 Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn. Helen Frankenthaler, Sea Level (1976), Sammlung Reinhard Ernst, Wiesbaden © Helen Frankenthaler Foundation, Inc. / VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Transkript anzeigen

00:00:00: August 1956. Es ist ein warmer Nachmittag und an dem kleinen Bahnhof von East Hampton,

00:00:14: der aus kaum mehr als einem winzigen Backsteingebäude und nur einem Gleis besteht, ist gerade

00:00:19: ein Zug eingefahren. Zwei junge Frauen steigen aus. Sie wollen weiter nach Springs, einer

00:00:28: Kleinstadt auf Long Island, drei Stunden östlich von New York City. Edith Metzger ist 25 Jahre

00:00:39: alt. Ihre Freundin Ruth Clickman hat sie hier nach Springs eingeladen. Clickman ist Pollocks

00:00:46: neue Affäre, denn Pollocks Frau Lee Cressner hält sich gerade in Paris auf. Wer weiß,

00:00:52: vielleicht lernst du ja auch einen gut aussehenden Künstler kennen. Das ist er. Ich habe ihn mir

00:01:00: anders vorgestellt. Das seid ihr ja. Rein mit euch!

00:01:04: Die drei fahren mit offenem Verdeck durch die Landschaft. Springs liegt am äußersten Zipfel

00:01:22: von Long Island und gleich hinter der Bucht von Gardeners erstreckt sich das offene Meer. Der

00:01:29: Ferienort ist ein beliebtes Reiseziel, doch die noch ausgelassene Stimmung am Bahnhof ist einem

00:01:36: unsicheren Schweigen im Wagengewäch. Ruth schaut aus dem Fenster. Edith beobachtet Verstolen,

00:01:47: wie Pollock aus einer Flasche trinkt, die er aus der Seitenablage gefischt hat.

00:01:52: Vor Edith Metzger erstreckt sich ein einstöckiges Fischerhaus. Schön aber leicht heruntergekommen.

00:02:09: So, führt euch wie zu Hause. Schau Edith, hier ist es. Das berühmte Pollockhaus in der Fireplace Road.

00:02:19: Normalerweise hält Lee Cressner hier Ordnung. Pollocks Frau achtet auch darauf,

00:02:28: dass er nicht zu viel trinkt. Aber seit sie weg ist, herrscht Chaos. Der Rasen ist vertrocknet,

00:02:35: überall liegt Müll herum und in der Küche stapelt sich das dreckige Geschirr.

00:02:40: Edith folgt ihrer Freundin in den Garten. Sie ist sichtlich irritiert und Ruth

00:02:48: bemerkt, wie sie den Zustand des Hauses mustert. Jackson Schatz, kannst du uns nicht an den Strand

00:02:54: fahren? Oh, keine Lust auf Strand. Ihr könnt euch doch im Gartensornen. Will jemand einen sehen?

00:03:01: Nein, danke. Die beiden Freundinnen sitzen gelangweilt im Garten herum, bis es schließlich schon

00:03:12: zu Dämmern beginnt. Die Flasche Gin hat Jackson Pollock inzwischen auch ohne ihre Hilfe leerbekommen.

00:03:19: Ich hatte mir den Tag anders vorgestellt. Ja, wir fahren gleich zu einer Party, versprochen. Jackson

00:03:28: kann doch nicht mehr fahren. Ach was, der kann immer fahren. Macht dir keine Sorgen. Jackson

00:03:34: Schatz, lass uns zu der Party fahren. Meinetwegen. Wenige Minuten später sitzen sie wieder im

00:03:48: Auto. Die beiden Frauen tragen Abendkleider. Sogar Pollock hat sich ein frisches Hemd angezogen.

00:03:55: Aber Edith Metzger entgeht nicht, dass er am Steuerschwangt. Er fährt immer langsamer und

00:04:01: langsamer. Mit Schrittstempo kriegt er über die Landstraße. Bis die Polizei sie anhält.

00:04:11: Edith weiß nicht, ob sie nervös sein soll oder erleichtert. Guten Abend. Alles in Ordnung

00:04:24: bei Ihnen? Ah, Mr. Pollock, wie geht es Ihnen? Gut, alles gut. Na dann, fahren Sie vorsichtig.

00:04:36: Ohne ein weiteres Wort setzt Pollock den Wagen wieder in Bewegung. Ich drehe um. Edith hält sich am

00:04:52: Sitz fest, während Jackson Pollock einen U-Turn macht. Edith springt aus dem Wagen. Sie blickt

00:05:04: auf den weltberühmten Künstler, der am Steuer sitzt. Krummer rücken, leerer Blick, angespannte

00:05:10: Hände. Ich steige nicht mehr in diesen Wagen. Wieso nicht? Edith, komm wieder rein. Das ist

00:05:17: der Verrückt. Edith, bitte. Ihre Freundin schaut sie flehend an. Edith will nicht wieder zu diesem

00:05:25: Mann ins Auto steigen, aber sie will auch ihre Freundin nicht mit ihm alleine lassen. Bitte,

00:05:31: komm wieder ins Auto. Na dann, bringe ich die Damen mal nach Hause. Jackson, verlangsern. Langsern? Habt ihr

00:05:46: advance? Jackson, Jackson, lacht erst.

00:06:16: Bei dem Unfall sterben Jackson Pollock und Edith Metzger. Nur Ruth Klickman überlebt. Schwer

00:06:33: verletzt. Der Unfall wird die Kunstwelt erschüttern und sie für immer verändern.

00:06:46: Mein Name ist Tsaiwa Humsi. Ich bin Journalistin und Moderatorin. Ihr hört Frankenthaler. Wenn

00:07:05: euch der Podcast gefällt, dann empfiehlt ihn gerne weiter und gebt uns fünf Sterne. Das hier ist

00:07:12: Folge vier von sechs, Goldrausch. In der letzten Folge hatte Helen Frankenthaler ihren großen

00:07:25: kreativen Durchbruch. Sie entwickelte ihre heute weltberühmte Soak and Stain Technik. Doch damals

00:07:32: war das ein Stil, der so neu war, dass er nur von wenigen verstanden wurde. Helen musste harte

00:07:38: Kritiken einstecken, zu einer Zeit, in der sie sich bereits isoliert fühlte. Es folgte eine

00:07:44: tiefe Krise, die sie nach Europa führte. Dort findet sie Inspiration und realisiert, dass sie sich

00:07:50: endlich von ihrem Partner Clement Greenberg trennen muss. Sie ist jetzt auf sich allein gestellt

00:07:56: und bereit, sich neu zu finden. Doch dann stirbt der Star-Künstler Jackson Pollock. Jackson Pollock

00:08:05: bleibt bis heute eine umstrittene Person. Aber eins ist klar, erst eine Ikone der modernen Malerei.

00:08:11: Mit seinen Drip-Paintings hat er das Verständnis von Kunst verändert und den abstrakten Expressionismus

00:08:18: mit eingeläutet. Dass sein Name bis heute weltweit bekannt ist, verdankt er aber vor allem einer

00:08:24: Person. Seiner Frau Lee Cressna. Sie beide, Jackson und Lee, sind talentiert und prägen die erste

00:08:34: Generation der New York School. Katie Hessel, die Autorin von "The Story of Art without Man",

00:08:40: die ihr schon aus der letzten Folge kennt. Lee Cressna hat sich nicht nur selbst in der Kunstwelt

00:08:48: etabliert. Noch bevor sie Jackson Pollock kennenlernte, wusste sie genau, bei wem sie lernen musste und

00:08:54: wem sie ihre Arbeiten zeigen musste. Sie erkennt das Geniale in seinen Bildern lange,

00:08:59: bevor es andere tun. Während er noch ein introvertierter, oft betrunkener Maler ist,

00:09:04: wird sie nicht nur seine Ehefrau, sondern auch Managerin, Promoterin und Buchhalterin in einem.

00:09:10: Kurz gesagt, Lee Cressna ist eine komplette Künstleragentur in einer einzigen Person.

00:09:16: Ihre Beziehung ist kompliziert und funktioniert vor allem deshalb, weil Lee Cressna ihm immer wieder

00:09:23: und immer mehr verzeiht. Doch als Pollock ganz öffentlich eine Affäre mit der deutlich

00:09:29: jüngeren Ruth Clickman beginnt, trifft das Lee tief. Sie reist allein nach Paris. Das erste Mal

00:09:39: seit Jahren ist sie für längere Zeit von Jackson getrennt. Am 11. August 1956 rast Jackson Pollock

00:09:47: in den Tod und reist die unbeteiligte Edith Metzger mit sich. Die Nachricht verbreitet sich in

00:09:54: New York wie ein Lauffeuer. Die Stadt steht unter Schock. Helen Frankenthaler und Lee Cressna

00:10:01: sind zu diesem Zeitpunkt beide in Paris. Als Helen in ihrem Hotelzimmer vom Unfall erfährt,

00:10:07: greift sie spontan zu sehr Werte, rotem Nagelack und Lippenstift und malt. Dicke blutrote Striche

00:10:14: auf weißem Stoff. Ein kleines, gewaltsames Gemälde. Kurz darauf macht sie sich auf den Weg zu Lee.

00:10:21: Die beiden fahren ziellos durch Paris, rauchen und trinken Cognac. Am Abend entscheidet Lee,

00:10:28: sie fliegt zurück nach New York. Sie wird sich dem, was dort vor ihr liegt, stellen.

00:10:33: Lee Cressna fühlt sich verantwortlich für Pollock's künstlerisches Erbe. Sie will sein Werk

00:10:41: schützen, nichts überstürzen und erst mal keine Gemälde verkaufen. Doch es gibt ein Problem. Sie

00:10:47: ist komplett pleite. Als Pollock starb hatte Cressna so um die 200 Dollar auf dem Konto. Sie

00:10:56: konnte seine Beerdigung nicht bezahlen. Sie war völlig pleite, aber sie wusste, was Pollock's

00:11:01: Werke wert waren. Ein echten Markt für abstrakte Kunst gibt es Mitte der 50er nicht. Kaum jemand

00:11:09: weder William de Cooning noch Adolf Gottlieb und auch nicht Tell & Frankenthaler hatte bis dahin

00:11:14: Werke für nennenswerte Summen verkauft. Die einzige Ausnahme, Lee Cressna. Zwei Jahre vor Pollock's Tod

00:11:22: gelingt es ihr, ein Bild von ihm für 8000 Dollar zu verkaufen. Das war eine Sensation.

00:11:28: I think, you know, Lee Cressna was incredibly clever. Lee Cressna war unglaublich clever. Wir

00:11:35: müssen bedenken, im Kunstmarkt heutzutage erzielen Werke von abstrakten Expressionisten

00:11:40: astronomische Preise. In den 1950er Jahren war das überhaupt nicht so. Jetzt nach Pollock's Tod

00:11:50: meldet sich plötzlich das berühmte Museum of Modern Art, das MoMA. Sie wollen Autumn Rhythm

00:11:56: kaufen. Es ist eines der Bilder, das auch Helen bei ihrer ersten Pollock Ausstellung so beeindruckt

00:12:02: hat. Das MoMA ist bereit, 8000 Dollar für das Bild zu zahlen. Für Lee Cressna genau das Geld,

00:12:08: das sie so nötig braucht. Gerade als der Galerist Sidney Janis den Deal zwischen Cressna und dem MoMA

00:12:15: abwickeln möchte, klingelt das Telefon. She said, this work should be 30.000 Dollar. Dieses Bild ist

00:12:22: 30.000 Dollar wert und Sidney Janis war davon völlig überrascht. Lee Cressna bleibt hart und will

00:12:31: nachverhandeln. Sie hat längst begriffen, dass der Wert von Pollock's Bildern nach seinem Tod

00:12:36: explodiert. Jetzt, wo er zur Legende geworden ist, muss sich das auch im Preis zeigen. Statt der

00:12:43: Angeboten in 8.000, fordert sie plötzlich 30.000 Dollar. Das wären heute über 300.000 Euro.

00:12:50: Der Direktor des MoMA ist so wütend, dass er gar nicht erst antwortet. Der Deal platzt. Cressna hat

00:12:58: sich verzockt. Doch dann hat sie eine Idee. Sie geht einfach zur größten Konkurrentin bis MoMA,

00:13:05: dem Metropolitan Museum. Und tatsächlich, das Met kauft das Bild. Cressna bekommt ihre 30.000 Dollar.

00:13:14: Das war eine monumentale Zeit im Kunstmarkt. Plötzlich veränderte sich der Wert dieser

00:13:22: abstrakten expressionistischen Werke dramatisch. Schon die ersten 8.000 Dollar, die sie vor Pollock's

00:13:31: Tod bekam, waren eine kleine Sensation. Aber die jetzt erzielten 30.000, eine vierfache Sensation,

00:13:39: mindestens. Plötzlich wollen alle abstrakten Expressionismus oder kurz AppX in ihrer Sammlung

00:13:49: haben. Museum, Galerien, private Sammler*innen, aber nicht nur sie. Auch Kunst insgesamt wird

00:13:55: jetzt zum Investitionsobjekt. Selbst Immobilienmakler und Banker interessieren sich plötzlich für die

00:14:00: abstrakte Kunst, die bis vor kurzem kaum jemand ernst genommen hat. Während die New York School

00:14:07: noch um Pollock trauert, rückt sie endlich in das Rampenlicht, das sie sich so lange gewünscht hat.

00:14:11: Die Szene, die sich selbst als radikal und avantgardistisch verstanden hat, wird mit voller Wucht

00:14:17: in den Mainstream katapultiert. Vor allem die zweite Generation, Helen Frankenthaler, Grace

00:14:23: Hartigan, Joan Mitchell, ist plötzlich gefragt. Helen merkt schnell, dieser Moment könnte auch für

00:14:29: sie wichtig werden. Ich denke, es geht auch um den Hasse, also darum, wie man sich im Kunstbetrieb

00:14:39: behauptet und das Spiel spielt. Und sie war unglaublich vorausschauend. Noch vor drei Jahren stand ihr

00:14:47: Meisterwerk "Mountains NC" für 100 Dollar zum Verkauf. Niemand wollte es. Jetzt sieht das ganz

00:14:53: anders aus. Helen Frankenthaler, Grace Hartigan, Joan Mitchell und andere werden für ein Artikel

00:14:59: im Live-Megasin fotografiert. Eine Zeitschrift, die millionenfach gelesen wird. Sie inszenieren

00:15:06: sich geschickt. Jung, rebellisch, aber nahbar. Wir erinnern uns. 1950 hatte das Live-Megasin mit

00:15:14: dem Pollockartikel gezeigt, dass ein ernstzunehmender Künstler auch ein Amerikaner aus der Working

00:15:19: Class sein kann. Sieben Jahre später zeigt der Artikel über Helen und ihre Kolleginnen. Komplexe,

00:15:27: anspruchsvolle Kunst kann auch von Frauen stammen. Aber mit der neuen Aufmerksamkeit kommt auch

00:15:37: ein Problem. Helen bekommt zwar Anerkennung, wird aber überall als "Woman Painter" verkauft. Als

00:15:43: weibliche Künstlerin, nicht einfach als Künstlerin. Helen will, dass ihre Kunst für sich spricht,

00:15:49: ohne dass ständig betont wird, dass sie von einer Frau stammt. Sie will einfach gleichberechtigt zu

00:15:54: ihren männlichen Kollegen wahrgenommen werden, nicht als Teil einer Art Unterkategorie weibliche

00:15:59: Kunst. Dazu schreibt sie selbst. Für mich war es nie ein Thema, eine weibliche Malerin zu sein. Ich

00:16:07: mal einfach. Wie kann Helen es schaffen, sich selbst treu zu bleiben? Jetzt, wo es eine öffentliche

00:16:13: Wahrnehmung gibt, die ihr vorgeben möchte, was zu tun ist, damit sich ihre Kunst besser verkauft.

00:16:18: Sie sieht sich in einem Zwiespalt. Wenn der Künstler offenbart, dass er beim Malen schon an

00:16:25: sein Publikum denkt, dann ist etwas falsch, etwas zynisch. Dann ist der kreative Prozess nicht mehr

00:16:31: pur. Für Helen war Pollock immer ein wichtiger Referenzpunkt. Sie war begeistert von seiner Kunst.

00:16:40: Das Arbeiten am Boden hat sie von ihm übernommen und dann auf ihre ganz eigene Weise weiterentwickelt.

00:16:46: Auch wenn der direkte Austausch mit ihm nicht mehr möglich ist, beginnt sie sich jetzt intensiv mit

00:16:52: seinem Werk auseinanderzusetzen und ihren eigenen Weg zu suchen. Nach Pollock's Tod habe ich eine

00:17:01: Seite von mir erforscht, zu der mich sein schwarz-weiß Bild #14 inspiriert hat. Ein Bild,

00:17:08: das freie Atmet zwischen unter- und umschwarze Muster aus geschütteter Farbe. Ich glaube,

00:17:16: in den Jahren '56 und '57 habe ich viel von mir herauskommen lassen in den Bildern.

00:17:22: Ihre Bilder werden wilder und es entstehen riesige Gemälde, wie Jacob's Letter,

00:17:29: Geralda, Eden oder Seven Types of Ambiguity. Es sind risikoreiche und experimentelle Werke,

00:17:37: einerseits lüreschön, andererseits unterschwellig verstörend. Sie experimentiert mit unausgeglichener

00:17:45: Balance, mit Symbolen und Formeln, mit angedeuteten Körpern und Gesichtern. Sie malen zu dieser Zeit

00:17:52: an den Grenzen der abstrakten Malerei. Ich habe ungefähr zehn neue Bilder gemalt und ich fühle,

00:17:59: dass manche von ihnen wirklich da sind. Ich weiß nicht, wann ich je so ein starkes,

00:18:06: sicheres Gefühl dafür hatte, was meins ist und was ich tue, damit es das Richtige für mich ist.

00:18:13: Helen hat es geschafft, sich künstlerisch und persönlich von den Männern in ihrem Leben

00:18:18: zu lösen. Nach der Trennung von Clem und durch die Ohrfeige auf ihrer Party findet sie wieder

00:18:24: Rückhalt bei alten Freund*innen. Sie ist zurück in der Gruppe der T-Bore Five. Und jetzt, wo sie

00:18:30: nicht mehr mit Clem zusammen ist, nähern auch sie und Grace Hartigan sich wieder an. Beide verbringen

00:18:36: mehrere Wochenenden am Meer miteinander. Helen schreibt an Grace. Die drei Tage mit dir haben mir viel

00:18:43: bedeutet. Ich bin sehr glücklich, dass du meine Freund*innen bist und dass wir so unterschiedliche

00:18:49: Stimmungen und so schöne Stunden miteinander teilen. Eine echte Freund*innen zu haben ist etwas

00:18:57: Seltenes heutzutage in unserer aktiven und überfüllten Kunstszene. Verständnis, Harmonie, Freude

00:19:05: und Unterstützung sind seltene Dinge.

00:19:08: Zum ersten Mal, seit sie vor sechs Jahren in die Kunstszene eingetaucht ist, scheint sie alles auf einmal zu haben.

00:19:23: Anerkennung, Erfolg, Ausstellung und Freund*innen. Sie ist zurück in ihrer Kunstfamilie, die sie immer wieder

00:19:30: aufs Neue inspiriert. Und auch wenn es ihr gerade gut geht, wünscht sich Helen dieses Gefühl,

00:19:36: mit dem einem zu teilen. Sie schreibt an Grace.

00:20:01: Sie ist wieder bereit für eine Beziehung und ihre Freundin Grace Hartigan organisiert Blinddates

00:20:06: für Helen. Sie beginnt mehrere kurze Beziehungen, Mitschriftstellern, Drehbuchautoren und Malern,

00:20:11: aber all diese Versuche enden in nervenaufreibenden Dramen. Die Jahre mit Klemmen waren schon Drama

00:20:18: genug. Helen sehen sich nach Ruhe, nach Einfühlsamkeit, nach einer echten Verbindung. Und dann lernt sie

00:20:25: einen Künstler kennen, der eigentlich ein alter Bekannter ist.

00:20:31: 16. Dezember 1957 an der New Yorker Upper Eastside. Es ist dunkel und eiskalt in Manhattan.

00:20:47: Aber in der Galerie von Leo Castelli drängen sich Kritikerinnen und Kritiker, Sammler und Kunstschaffende.

00:20:55: An den Wänden hängen die Werke der New York School. Auch eines von Helen Frankenthaler.

00:21:02: "Helen, mir gefällt dein Bild." "Oh, danke." Helen steht in einem schwarzen Kleid an einer Wand

00:21:10: gelehnt, schultern gerade die Augen leer. Sie hat keine Lust auf Smalltalk. Ihre letzte Beziehung,

00:21:18: die nur ein paar Monate hielt und dann abrupt endete, hat Spuren hinterlassen. Der verheiratete

00:21:24: Mann hatte ihr Versprochen, sich von seiner Frau zu trennen und sie nach Paris mitzunehmen. Nur einen

00:21:31: Tag vor der geplanten Abreise war klar, er wird nach Paris zurückkehren, aber ohne Helen.

00:21:37: "Hier ist dein Wein." "Danke, Rob."

00:21:43: An ihrer Seite gesellt sich Robert Motherwell.

00:21:46: Gross, blass, einer Zigarette zwischen den Fingern, halb aufgeraucht.

00:21:52: Motherwell ist 13 Jahre älter als Helen und Künstler der ersten Generation.

00:21:58: Ein Pionier der New York-School.

00:22:01: Die beiden kennen sich bereits seit Jahren, sind Teil derselben Community,

00:22:06: aber hatten bisher kaum direkten Kontakt.

00:22:10: Zum Abend einst sie mehr als nur das Interesse für Kunst.

00:22:13: Auch Motherwell verarbeitet gerade eine Trennung.

00:22:16: Er und seine Frau haben sich scheiden lassen.

00:22:19: Ich hab noch niemandem Hallo gesagt.

00:22:24: Du?

00:22:26: Nein, aber bei mir fällt das auch nicht auf.

00:22:29: Ich war schon immer schlecht beim Smalltalk.

00:22:32: Ich hasse Eröffnungen.

00:22:35: Das kann ich nachvollziehen.

00:22:41: Du, ich, ich glaube, ich muss hier raus.

00:22:44: Der Rauch, die Leute.

00:22:46: Alles gut, ich komme mit.

00:22:48: Ah, danke.

00:22:57: Ah, das ist gut.

00:22:59: Wir müssen auch nicht wieder rein.

00:23:01: Wollen wir vielleicht in eine Bar gehen?

00:23:04: Eine ruhige Bar?

00:23:06: Das ist lieb, aber ich will nach Hause.

00:23:10: Willst du lieber allein sein?

00:23:12: Nein, komm gerne mit.

00:23:15: Hellens Wohnung liegt Ende der 50er-Jahre

00:23:25: in einem Backsteingebäude in der West End Avenue.

00:23:28: Ein weitläufiges Loft mit Holzdielen

00:23:31: und großen, bodentiefen Fenstern.

00:23:34: An den Wänden und auf dem Boden hängen und liegen

00:23:39: riesige bunte Leinwände.

00:23:41: Manche von ihnen sind nur halb bemalt.

00:23:44: Auf mehreren Tischen stehen große Farbeimer,

00:23:48: Pinsel, Schwämme.

00:23:50: Dazwischen stehen verstreut Möbel.

00:23:53: Beide steuern auf einen Sessel und eine große Couch zu.

00:23:57: Arbeitest du auch hier?

00:24:01: Ja, Wohnung und Atelier in einem.

00:24:04: Whiskey?

00:24:08: Die Arbeiten hier sehen besonders aus.

00:24:10: So lebendig.

00:24:12: Danke.

00:24:14: Weißt du, ich fand deine Kunst immer sehr gut.

00:24:36: Irgendwie lustig, dass wir nie wirklich was miteinander zu tun hatten.

00:24:39: Das könnte daran liegen, dass ich eher lieber daneben stehe

00:24:43: und du den Raum verzaubert hast.

00:24:46: Vielleicht.

00:24:48: Gerade ist mir aber nicht nach Zaubern zur Mutter.

00:24:52: Wieso?

00:24:54: Weißt du, erst die Sache mit Jacksons Unfall,

00:24:58: dann die Trennung von Clem

00:25:00: und jetzt dieser Sache mit Reggie.

00:25:03: Das ist einfach alles sehr viel.

00:25:06: Ich dachte wirklich, wir würden zusammen noch Paris?

00:25:09: Ich kriege es auch einfach nicht hin.

00:25:12: Wie du weißt, ist mein Liebesleben ein auch viel größerer Scherbenhaufen.

00:25:17: Komm, noch ein Whiskey.

00:25:20: Auf die unerfüllte Liebe.

00:25:23: So unterschiedlich die beiden Charaktere auch sind,

00:25:32: sie verstehen sich in dieser Nacht auf Anheb.

00:25:36: Als hätten sie die letzten Jahre auf diesen Tag gewartet,

00:25:39: um sich besser kennen zu lernen,

00:25:41: an dem sie sich wirklich verbunden fühlen.

00:25:44: Die beiden reden die ganze Nacht.

00:25:47: Über ihre Kindheit, über ihre Kunst,

00:25:50: das Leben als Künstlerin und Künstler.

00:25:53: Als der Morgen schließlich dämmert,

00:25:56: sind die Gläser leer und die Aschenbecher voll.

00:25:59: Und Helen Frankenthaler und Robert Motherwell

00:26:02: haben sich ineinander verliebt.

00:26:06: Und sie wissen, dass sie sich nicht verliebt haben.

00:26:09: Und sie haben sich damit verliebt.

00:26:12: Als Robert und Helen sich kennenlernen,

00:26:15: ist er bereits ein weltberühmter Maler.

00:26:18: Robert Motherwell gilt als Pionier

00:26:21: des abstrakten Expressionismus

00:26:24: und als einer der intellektuellen Köpfe der New York School.

00:26:28: Seine gestischen schwarz-weißen Bilder

00:26:31: wurden schon 1942 in Peggy Guckenheims

00:26:35: in einer revolutionärer Galerie gezeigt.

00:26:37: Er war in den gleichen Jahren wie Helen Stammgast

00:26:40: in der Cedar Tavern und organisierte 1951

00:26:43: "The Nine Street Show", bei der auch Helen ausstellte.

00:26:47: Im Grunde kennen sie sich also schon lang.

00:26:50: Aber an diesem Winterabend, 1957,

00:26:53: passiert etwas Neues. Helen verliebt sich in ihn.

00:26:57: Und das, obwohl es ihm nach seiner Scheidung

00:27:00: gerade alles andere als gut geht.

00:27:04: Er war in einer echt schlechten Verfassung.

00:27:07: Ich dachte, seine Psyche, sein Ego,

00:27:10: seine ganze Erscheinung braucht eine echte Perspektive,

00:27:14: um wieder aufgerüttelt zu werden.

00:27:17: Anders als die Männer vor ihm,

00:27:21: ist Robert ein introvertierter, scheuer Mensch.

00:27:24: Manche sagen sogar, dass er erst ans Telefon gehen kann,

00:27:28: wenn er sich eine Zigarette angezündet hat.

00:27:32: Robert hat sich von seiner intellektuellen Art begeistert.

00:27:35: Er liest viel, schreibt viel und mahlt.

00:27:38: Sie teilen ein ästhetisches Verständnis

00:27:41: und können sich deshalb nächtelang über Bilder, Bücher und Filme unterhalten.

00:27:45: Bob und ich, wir haben beide erkannt,

00:27:48: dass nach Jahren der Einsamkeit und der falschen Geselligkeit

00:27:52: uns eigentlich nur zwei Dinge wirklich interessieren.

00:27:56: Der jeweils andere und unsere Arbeit.

00:28:02: Schon nach ein paar Monaten heiraten sie.

00:28:05: Kurz danach malt er das Bild "The Wedding",

00:28:08: das sich in der Sammlung des Museumreinhard Ernst befindet.

00:28:12: Zwei schwarze Figuren auf gelbbraunem Grund.

00:28:16: Schwerelos, fast geisterhaft verbunden nur durch ihre Hände.

00:28:20: Motherwell sagt später, die eine Figur bin ich, die andere ist Helen.

00:28:24: Das frisch verheiratete Paar bricht auf zu ausgedehnten Flitterwochen

00:28:29: durch Europa.

00:28:30: Eine Reise, auf der beide eine inspirierende Erfahrung machen,

00:28:34: die sie noch enger zusammenbringt.

00:28:58: Mitte Juli 1958.

00:29:00: Im Norden von Spanien.

00:29:03: Die Sonne steht tief über dem Gebirge

00:29:06: und roter Staub schwebt in der Luft.

00:29:09: Es ist ein heißer Sommerabend.

00:29:14: Helen, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.

00:29:23: Doch, es wird sich lohnen.

00:29:27: Halt mir.

00:29:28: Helen Frankenthaler und Robert Motherwell

00:29:32: steigen aus einem Auto, das mit rotem Staub bedeckt ist.

00:29:36: Sie sind von Frankreich aus nach Spanien gereist.

00:29:41: Unauffällig, nur über Nebenstraßen und auf Schleichwegen.

00:29:45: Denn in Spanien herrscht der Diktator Franco.

00:29:49: Und das Franco-Regime hat Robert Motherwell

00:29:52: offiziell zur Persona non grata erklärt.

00:29:56: Seine Bilder zum spanischen Bürgerkrieg gelten als Provokation.

00:30:00: Wenn Motherwell erkannt wird,

00:30:03: könnte das schwere Folgen für ihn haben.

00:30:06: Doch Helen wollte unbedingt zu diesem Ort.

00:30:09: Tagelang hat sie ihm begeistert

00:30:12: von ihrer ersten Spanienreise vorgeschwärmt,

00:30:15: bis sie ihn überzeugen konnte

00:30:18: und sie sich auf die Reise hierher machten.

00:30:21: Den Höhlen von Altamira.

00:30:26: (Nachdenkliche Musik)

00:30:28: Sehst du, da vorne, das ist der Eingang.

00:30:42: Da ist ein Mann in Uniform.

00:30:45: Überlass mir das Reden.

00:30:48: Los, Viento. Die Höhle ist vor heute geschlossen.

00:30:56: Auf Verwar, nur fünf Minuten.

00:30:58: Die Höhle ist zu.

00:31:01: Helen zückt ihren Geldbeutel,

00:31:08: holt einige Peseta-Scheine heraus

00:31:11: und hält sie dem Mann unauffällig hin.

00:31:14: Der Beamte schaut sich grimmig um.

00:31:17: Wale, mitkommen.

00:31:21: Sie folgen dem Uniformierten

00:31:26: in einem dunklen Gang.

00:31:28: Es wird Stockfinster.

00:31:31: Das elektrische Licht ist bereits ausgeschaltet.

00:31:35: Er führt sie in die längliche Hauptthöhle

00:31:39: und gibt Helen eine Kerze in die Hand.

00:31:42: Wow.

00:31:50: Wie aus dem Nichts erscheinen sie.

00:31:56: Die weltberühmten Höhlenmalereien.

00:31:59: Unzählige Tiergestalten in ockerfarben

00:32:05: und braun auf der kalten Höhlendecke.

00:32:08: Bisons, Herrsche, Rehe.

00:32:12: Über 14.000 Jahre alt.

00:32:15: Helen und Robert haben die Höhle ganz für sich.

00:32:20: Keine Touristengruppen, keine Scheinwerfer.

00:32:24: Nur sie und das Flackern ihrer Kerze.

00:32:27: Wow.

00:32:31: Wirklich unglaublich.

00:32:34: Oder wie die Deckenmalerei einer Kapelle.

00:32:38: Der Bison dort, der sich duckt.

00:32:41: Es würde einem Flackern der Kerzen gleich losrennen.

00:32:45: Die Menschen haben schon damals

00:32:48: die Unebenheiten des Steins für sich genutzt,

00:32:52: die Geräusche zu erscheinen zu lassen.

00:32:54: Die Tiere scheinen aus dem Steinar raus zu entstehen.

00:32:58: Bildträger und Farbe verschmelzen.

00:33:02: So ähnlich wie bei dir, die Farbflächen mit der Leinwand.

00:33:06: Helen beugt sich vor.

00:33:11: Beinahe berührt ihre Hand die Wand.

00:33:14: Dann zieht sie sie ehrfürchtig zurück.

00:33:17: Still steht sie da, Robert neben ihr.

00:33:22: Und es ist das.

00:33:24: Hier der Ursprung von allem.

00:33:27: Von Kunst.

00:33:30: Und wir, die New York School, tun heute so,

00:33:33: als hätten wir diese Techniken erfunden.

00:33:36: Es ist der Höhepunkt ihrer Hochzeitsreise.

00:33:39: Die Erfahrung in den Höhlen von Altamira

00:33:42: wird Frankenthaler und Motherwell

00:33:45: über Jahre hinweg als Inspiration dienen.

00:33:49: In der heiße Juliabend in den kalten Höhlen von Altamira

00:33:52: lässt sie neu und anders über Malerei denken.

00:33:56: Erkenntnisse, die auch in einer ganzen Reihe

00:33:59: neuer Bilder sichtbar werden.

00:34:02: Und sie als Paar zusammenschweißen.

00:34:18: Das muss ein ganz besonderes Ereignis für die beiden gewesen sein.

00:34:21: Eben auch im visuelles Ereignis.

00:34:24: Weil sie dann in dem Kerzenschein flackern,

00:34:27: die Tiere an den Decken gesehen haben und schon fast den Eindruck hatten,

00:34:31: dass sie sich auf dieser unebenen Höhlendecke bewegten.

00:34:34: Da wird klar, dass eine ganz interessante Frage

00:34:38: in der Malerei ist, wie verhält sich die Figur zu dem Hintergrund?

00:34:42: Wie verhält sich die Linie auf der zweidimensionalen Fläche?

00:34:47: Und da haben die beiden eben hier einen Weg gefunden,

00:34:50: dass man Figur und Grund sozusagen zusammen denkt.

00:34:54: Malerei versucht normalerweise genau das,

00:34:57: eine optische Täuschung zu erzeugen.

00:35:00: Auf einer flachen, zweidimensionalen Leinwand

00:35:03: soll eine Person vor einem Hintergrund so realistisch wirken,

00:35:07: dass das Bild Tiefe bekommt, dass wir da etwas Dreidimensionales sehen.

00:35:11: Aber Helen Frankenthaler stellt genau diese Tradition in Frage.

00:35:16: Lea Schäfer, die Malerin und Kuratorin des Museumreinhard Ernst,

00:35:19: kennt ihr bereits aus den letzten Folgen.

00:35:22: Wenn man eine Figur auf einen zweidimensionalen Bildträger malt,

00:35:27: hat man immer das Problem, dass man einmal die Figur und den Hintergrund hat.

00:35:31: Es gibt also immer diesen quasi unaufflösbaren Gegensatz

00:35:35: von diesen beiden Motiven.

00:35:38: Und Helen Frankenthaler entdeckt in der prähistorischen Deckenmalerei

00:35:44: wie die gewölbte Decke, also im Grunde der Hintergrund,

00:35:47: der Untergrund für die Zeichnung, zusammengeht

00:35:50: mit der Zeichnung der Tiere.

00:35:53: Und das eben aufzulösen, immer wieder Momente im Bild zu schaffen,

00:35:57: woran nicht klar ist, was ist vorne, was ist hinten.

00:36:00: Das ist, glaube ich, was, was sie grundsätzlich interessiert hat

00:36:04: und was eben vom Kubismus dann über das Naturstudium

00:36:07: bis hin zu den Abstraktionen in den 50er-Jahren

00:36:10: ganz wunderbar bei ihr zu beobachten sind.

00:36:15: Helen und Robert erleben gemeinsam einen riesigen kreativen Schub,

00:36:19: der sich auf dutzenden Leinwänden entleert.

00:36:22: Ein Bild, auf dem die Einflüsse der Hochzeitsreise

00:36:25: ganz besonders zu erahnen sind, heißt wenig überraschend "Cave Memory".

00:36:31: Als sie Europa verlassen und von Frankreich aus

00:36:34: die Rückreise antreten wollen, stehen sie vor einem echten logistischen Problem.

00:36:40: Wie sollen sie all diese Bilder transportieren?

00:36:42: Und vor allem, darf man so viele wertvolle Kunstwerke

00:36:45: einfach so über internationale Grenzen bringen?

00:36:48: August 1958.

00:36:58: Am Hafen von L'Avres im Norden Frankreichs.

00:37:02: Ein riesiger Atlantic Ocean Cruiser liegt im Dock.

00:37:07: 40 Meter hoch, über 300 Meter lang.

00:37:10: Über 2000 Passagiere können auf diesem Schiff den Ozean überqueren.

00:37:15: Passagiere mit Ziel New York City, 1. Klasse in diese Schlange.

00:37:20: Die 2. Klasse in diese Schlange, die 3. Dort hinten.

00:37:25: In der Schlange zur 1. Klasse stehen ein Mann mit weißer Flanellhose

00:37:33: und dunkelblauem Blazer sowie eine Frau in einem hellen Sommerkleid

00:37:37: mit großem Strohhut und einer runden Sonnenbrille.

00:37:41: Sie beobachten akribisch, wie das Aufgabegepäck

00:37:46: mit Kränen ins Schiffsinnere verladen wird.

00:37:49: Beide wirken angespannt.

00:37:52: Bist du nervös?

00:37:54: Natürlich. Der Sarg ist ja auch nicht gerade unauffällig.

00:37:58: Das wird schon gut gehen.

00:38:02: Robert Motherwell und Helen Frankenthaler

00:38:04: haben sich bewusst als reiche amerikanische Touristen verkleidet.

00:38:08: Um unter den Passagieren der 1. Klasse möglichst nicht aufzufallen.

00:38:13: Jetzt werden unsere Sachen verladen.

00:38:17: Monsieur, Madame, ist das Ihr Gepäck?

00:38:22: Äh, ja. Kommen Sie bitte.

00:38:25: Ein französischer Zollbeamter in einer dunkelblauen Uniform

00:38:32: hat die beiden zu ihrem Aufgabegepäck.

00:38:34: Mehrere große Holzkisten und ein ganz besonderes Gepäckstück.

00:38:39: Dieser Sarg gehört da auch zu Ihnen.

00:38:45: Es fehlen die nötigen Papiere, um menschliche Überreste auszuführen.

00:38:49: Oh nein, da ist keine Leiche drin, sondern Bilder.

00:38:54: Bilder?

00:38:56: Ganz genau.

00:38:59: Ich bin Malerin und ich male einfach gerne große Urlaubsbilder.

00:39:02: Wir haben keine größere Kiste gefunden als diesen Sarg.

00:39:06: Aha, auch die Ausfuhr von Kunstwerken muss deklariert werden.

00:39:10: Es handelt sich schließlich um einen Wert von unter uns.

00:39:14: Meine Frau malt nicht besonders gut.

00:39:17: Ich hätte alles hier gelassen, aber sie hat mich angepfleht,

00:39:21: ihre Bilder nach New York mitzunehmen.

00:39:24: Die Gemälde haben höchstens emotionalen Wert.

00:39:29: Wir werden den Sarg öffnen müssen.

00:39:31: Uwe!

00:39:33: Zwei Hafenarbeiter beginnen die Nägel aus dem Sarg zu hebeln.

00:39:45: Helen verzieht den Mund,

00:39:53: während die Arbeiter eine ihrer großen Leinwände

00:39:57: gegen Hafenboden ausrollen.

00:39:59: Aha!

00:40:02: Sie beugen sich über das am Boden liegende Bild.

00:40:06: Wilde Farbspritzer und gestische Striche in Rot, Braun, Blau und Gelb.

00:40:12: Helen und Robert halten die Luft an,

00:40:16: während der Beamte mit versteinter Termine das Bild studiert.

00:40:20: Er schweigt lange.

00:40:25: Dann tritt er auf Motherwell zu.

00:40:27: Monsieur, Sie haben wirklich nicht untertrieben.

00:40:32: Ihre Frau malt terrible. Einfach schrecklich.

00:40:36: Nicht zu deklarieren!

00:40:39: Madame, Monsieur, ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise.

00:40:43: Das war also die europäische Kunstkritik.

00:40:56: Helen Frankenthaler und Robert Motherwell

00:40:58: sind nicht nur zwei der wichtigsten Künstler in ihrer Zeit,

00:41:01: sie werden auch zu einem echten Traumpaar.

00:41:04: Zurück in New York spricht bald die ganze Szene

00:41:07: vom golden Kappel des abstrakten Expressionismus.

00:41:11: Gleichzeitig merkt Helen, auch Motherwell ist kein einfacher Mensch.

00:41:16: Er kämpft mit seinen eigenen Dämonen.

00:41:19: Und das wird Spuren in ihrer Beziehung hinterlassen.

00:41:26: Das war Folge 4 von Frankenthaler.

00:41:29: Mein Name ist Tsaiwa Humsi.

00:41:32: Wenn euch der Podcast gefällt,

00:41:35: dann empfiehlt ihn gerne weiter und gebt uns fünf Sterne.

00:41:39: Frankenthaler ist eine Produktion von Studio J

00:41:43: und dem Museum Reinhard Ernst 2025.

00:41:47: Executive Producerin für das Museum Reinhard Ernst,

00:41:52: Kathrin Grün, Ines Gutieres.

00:41:54: Für Studio J, Executive Producer, Janis Gebhardt.

00:41:58: Producerin, Helene Feldmayer.

00:42:01: Autoren, Kiljan Matsurek, Janis Gebhardt.

00:42:05: Sprachregie, Friederike Wigger.

00:42:08: Superweisen Sound Designer, Sufián Auda, Florian Balma.

00:42:12: Sound Designer, Fanny Huda, Karl Hangschlidt.

00:42:15: Produktionsassistenz, Alexander Heber.

00:42:20: Produktionsassistenz, Alexander Hemsen.

00:42:22: Mix & Master, Fabian Klinke.

00:42:25: Mitarbeiter, Philippa Halter.

00:42:28: Social Media Redaktion, Vanessa Neumann, Axinia Dorn.

00:42:32: Have a break, have some art.

00:42:47: Die Kunstpause ist der Podcast der Freunde der Nationalgalerie in Berlin.

00:42:51: Charlotte Paulus und Felix von Böhm begrüßen jeden Monat spannende Gäste

00:42:55: aus Kunst und Kultur und sprechen mit ihnen über ihren Werdegang,

00:42:59: ihren persönlichen Bezug zur Kunst und über jeweils ein Kunstwerk

00:43:03: aus der Sammlung der Berliner Nationalgalerie.

00:43:06: Etwa mit Bestsellerautor Florian Ilias über Kaspar David Friedrich,

00:43:10: mit Marion Ackermann, Präsidentin der Stiftung preußischer Kulturbesitz

00:43:15: über Emeka Obo, oder mit Kritikerin Isabel Grau über Edouard Manet.

00:43:19: Reinhören lohnt sich.

00:43:22: Die Kunstpause gibt es überall, wo es Podcasts gibt.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.